Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Blick in Kopfersbergs Büro werfen und mit den Angestellten sprechen. Vielleicht war von ihnen etwas zu erfahren, was bei der Suche nach dem Vermißten half.
Das Firmenschild der TIMOIC war nicht zu übersehen, eine große gravierte Messingplatte mit breiten Lettern. Gleich daneben die Leiste mit den Klingeln, die TIMOIC belegte zwei Felder. Es mußte sich um ein ziemlich großes Büro handeln, denn die Geschosse in diesen Häusern waren immens. Laurenti blickte auf und sah in das Auge der Videokamera über dem Eingang, die sicher wegen der Bank installiert worden war. In Triest gab es diese Apparate selten – zu wenig Kriminalität, als daß sich der Aufwand lohnte. Laurenti wußte nicht, ob er zuerst über die Kamera begutachtet wurde, und hielt seinen Dienstausweis in ihre Richtung. Nach einem kurzen Summen des Türöffners stemmte er die eisenbeschlagene Eichentür auf. Er befand sich am Fuße eines riesigen Treppenhauses, dessen erster Abschnitt von einem Geländer aus schwerem Stein begrenzt und etwa fünf Meter breit war. Ein roter Teppich führte nach oben. Laurenti schaute an den stuckverzierten Wänden, deren Kassetten mit Marmormaserung auf hellem Grund ausgemalt waren, ob es einen Hinweis darauf gab, in welchem Stockwerk die Büros der TIMOIC zu finden waren. Er ging die erste Treppe hinauf. Nach einem halben Stockwerk sah er die Aufzugtür. Laurenti drückte den Knopf und wartete, bis die Kabine mit leisem Poltern angekommen war. Aber auch im Aufzug befand sich kein Hinweis auf die Etage. Also ging Laurenti zu Fuß, vorbei an eichefurnierten, unbeschrifteten Eingangstüren mit Messingklinken, bis er im dritten Stockwerk endlich das ersehnte Schild entdeckte. Er klingelte, es summte nochmals. Er trat ein und befand sich in einem Entree erstaunlichen Ausmaßes, in dem kein Mensch zu sehen war. »De Kopfersberg hat es weit gebracht«, dachte Laurenti, »das Büro, die Yacht, die Villa …« Er ging bis zur Ecke und blickte in einen menschenleeren Flur.
»Buongiorno, permesso«, rief er und ging ein paar Meter weiter, bis er hinter sich eine weibliche Stimme hörte.
»Prego!«
Laurenti drehte sich um und sah einen weiteren Flur vom Entree wegführen. Dort stand vor einer der Bürotüren eine junge Frau von vielleicht fünfundzwanzig Jahren. Weite schwarze Bluse, unter der ein weißer Büstenhalter schimmerte, kurzer, sehr kurzer schwarzer Rock, schulterlange rot gefärbte Haare, die von einem Haarreif zurückgehalten wurden, sonnengebräunter Teint und nicht sehr hübsch.
»Was wünschen Sie?« fragte sie.
»Ich möchte zu Signor de Kopfersberg.«
»Der ist nicht da.«
»Wann kommt er?«
»Ich weiß es nicht. Wer sind Sie?«
»Polizia Statale.« Laurenti hielt ihr kurz den Ausweis hin. »Wer vertritt ihn?«
»Was ist mit Signor de Kopfersberg?« fragte die junge Frau zurück.
»Sie wissen also nichts?« Laurenti versuchte ihren Blick zu erforschen. »Ihr Chef, ich nehme an, es ist Ihr Chef, wird vermißt.«
»Vermißt?« Sie machte große Augen.
»Na ja, vielleicht ist er sogar tot.«
»Das ist ja schrecklich!« Die junge Frau schien ernstlich erschrocken zu sein.
»Nicht wahr, schrecklich! Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf.«
»Renata Benussi. Ich bin die Sekretärin.«
»Die Sekretärin von Signor de Kopfersberg?«
»Nein, am Empfang.«
»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
»Am Montag morgen, vor seiner Abreise kam er kurz ins Büro.«
»Wann war das?«
»Wie üblich gegen neun Uhr dreißig.«
»Und wohin wollte er?«
»Geschäftsreise.«
»Nicht weshalb, sondern wohin, wollte ich wissen.« Entweder war die junge Dame nicht besonders klug, oder sie wußte nicht besonders viel.
»Ich weiß es nicht. Ich bin nicht über seine Termine informiert.«
»Wie viele Leute arbeiten hier?«
»Vier. Mit mir fünf.«
»Und welches Geschäft betreibt die TIMOIC?«
»Import-Export.«
»Mit wem kann ich sprechen? Wer vertritt Kopfersberg?«
»Das ist Doktor Drakic.«
»Ist wenigstens der hier?«
»Es tut mir leid. Leider nicht.«
»Drakic, sagten Sie?« Laurenti hörte den Namen heute zum zweiten Mal. »Heißt so nicht auch …?«
»Ja, ja. Tatjana. Es ist ihr Bruder.«
»Tatjana wer?«
»Die Verlobte vom Chef.«
»Ach ja, die Verlobte …« Laurenti schaute sich im Flur um.
»Arbeitet sie auch hier?«
»Tatjana arbeitet nicht! Aber was ist eigentlich passiert?« Ihr erster Schreck war der Neugier gewichen. »Hoffentlich nichts Schlimmes?«
»Machen Sie sich
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