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Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Linoleumfußbodens biß. Die Redakteure schauten schon lange nicht mehr auf, wenn jemand durch die Flure ging, auch dann nicht, wenn es sich um einen Fremden handelte. Zu irgendwem würde er schon gehören. Freiwillig ging hier ohnehin keiner spazieren.
    Lediglich die Ressortleiter hatten eigene Büros, obgleich auch diese Bezeichnung schon übertrieben war. Mit Glaswänden war ihr Raum gegen die Geräusche der großen Fläche abgetrennt. Ansonsten unterschieden sie sich in nichts von den Arbeitsplätzen der anderen. Das Mobiliar war von der gleichen Schlichtheit. Auf allen Tischen standen die gleichen Gerätschaften. Es gab nicht einmal, wie in alten Filmen, eine Jalousie, mit der man, wenn es um die alles entscheidende Schlagzeile ging, die Außenwelt hätte ausblenden können.
    Rossana Di Matteo redigierte in einem solchen Verschlag seit fünf Jahren den Lokalteil des »Piccolo«. Er war, neben den Anzeigenseiten, der wichtigste Teil des Blattes, für den fast die Hälfte der Redakteure arbeitete. Ihre Beförderung war damals nicht ohne Proteste und Gemurre im Kollegenkreis abgelaufen. Zwar wurde ihre journalistische Arbeit von allen geschätzt, doch hielten sich natürlich einige männliche Redakteure für qualifizierter. Rossana Di Matteo wurde ihre erste Chefin. Die Entscheidung der Inhaber erwies sich jedoch als unwiderruflich und binnen kurzem auch als klug. Der konkurrenzlose »II Piccolo« konnte ein paar tausend Exemplare verkaufter Auflage zulegen, für eine Lokalzeitung ein wahres Wunder. Rossana Di Matteo hatte die Redaktion dazu ermuntert, über die Lokalpolitik entschiedener zu berichten und mehr vom politischen Streit, der in der Stadt herrschte, ins Blatt zu tragen und ihn manchmal auch zu entfachen. Und sie änderte radikal die »Cronaca Nera«, die über die »schönen« Seiten des Lebens, vom Verkehrsunfall bis zum Gewaltverbrechen, in Wort und Bild berichtete. Die Bürger sollten mehr zu sehen bekommen, auch hier in dieser ruhigen Stadt, die in der italienischen Kriminalstatistik keine besondere Rolle spielt. Transparenz hieß die Zauberformel. »Die Fotos«, schärfte sie den Reportern ein, »kann man auch aus anderen Perspektiven aufnehmen. Geht ruhig mal ein wenig in die Knie oder legt euch in den Dreck, bewegt euch, sucht spektakuläre Eindrücke. Das, was ihr zeigen wollt, muß groß sein, dominant, zumindest so beeindruckend, daß der Betrachter darüber reden will. Auf keinen Fall das Übliche.« Sie gab sich viel Mühe, mit ihren Mitarbeitern Fotos und Artikel im Detail zu besprechen, ihnen zu erklären, was sie wollte und warum. Morgens war sie die erste im Büro und nachts die letzte, die es verließ. Aber in der Zeit ihres großen beruflichen Erfolgs erlebte sie auch eine erschütternde private Niederlage.
    Ihr zumindest nach außen glücklich wirkendes Familienleben endete nach unzähligen Streitereien mit dem Selbstmord ihres Mannes, der sich, ohne einen Abschiedsbrief zu hinterlassen, am Rilke-Weg beim Schloß von Duino von der Steilküste stürzte. An einen Unfall glaubte keiner. Ihre Tochter Antonella gab der Mutter die Schuld an diesem schrecklichen Ende des Vaters. Sie versagte in der Schule, wo sie bis dahin Klassenbeste gewesen war, verlor über ein Fünftel ihres Gewichts und verweigerte das Gespräch mit der Mutter. Mit fünfzehn Jahren zog sie nachts durch die Bars und wurde mehr als einmal betrunken oder vollgekifft von einer Polizeistreife zu Hause abgeliefert. Alle Versuche Rossanas, mit ihrer Tochter zu sprechen, scheiterten. Antonella konnte nicht akzeptieren, daß der Vater nicht nur Probleme mit ihrer Mutter hatte, sondern auch geschäftliche, an denen er verzweifelt war. Auf gutes Zureden der Laurentis, die auch Antonella immer gemocht hatte, begaben sich Mutter und Tochter schließlich in therapeutische Obhut, und nach einigen Monaten kam man wenigstens zu dem gemeinsamen Entschluß, daß Antonella wieder zur Schule gehen sollte, wenn auch nicht in Triest, sondern in einem Internat in Irland. Irland war – warum, wußte niemand – schon lange die Sehnsucht Antonellas. In ihrem Zimmer hingen Poster mit weiten grünen, verregneten Landschaften vor wilden Küsten, und einen Großteil der Literatur dieses Landes hatte sie längst gelesen.
    Laura und Proteo Laurenti hatten sich nach dem Unglück um Rossana und ihre Tochter gekümmert. Beide gingen über lange Zeit bei den Laurentis aus und ein und gehörten praktisch zur Familie.
    Nun ging es seit einiger Zeit auch

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