Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Sardinen »al savor« in den Mund geschoben. Das was Laurentis Chance.
»Wo, sagtest du, wurde der Autopilot eingeschaltet?«
»Auf vierundvierzig Grad zweiunddreißig Minuten und fünf Sekunden nördlicher Breite und auf …«
Laurenti hob hilflos die Schultern. »Sag’s noch mal einfach für seefahrerische Nieten, bitte!«
»Vor den Lidi Ferraresi, Podelta, fast zehn Meilen auf hoher See, also etwa achtzehn Kilometer vom Land weg. Übrigens um zweiundzwanzig Uhr elf.«
»Ah ja?« Laurenti hatte verzweifelt die Augenbrauen gehoben. Orlando begriff, daß dieser Fußgänger von seinen Angaben überfordert war, und zog mit dem Nagel des rechten Daumens die Kontur der Adria, die Pomündung, Ferrara, Venedig und Triest vor Laurenti in den Stoff der weißen Tischdecke und stieß mit seinem riesigen, mit dunklen Haaren bewachsenen Zeigefinger auf den Punkt, den er beschrieb.
»Hier!«
Laurenti verstand. »Italienisches Hoheitsgebiet?«
»Absolut! Die internationalen Gewässer beginnen erst zwölf Seemeilen vom Land weg.«
»Ich hatte ihn viel weiter südöstlich vermutet.«
»Na ja«, Orlando zog die Augenbrauen hoch ob soviel nautischen Unverstands, »wie ich schon sagte, Kraftstoff fehlte viel mehr, aber es gibt keinen direkten Kurs von Südosten nach Triest. Da wäre er vor Istrien aufgelaufen, zwischen Pola und Rovigno.« Er vervollständigte seine Daumenskizze auf dem Tischtuch, indem er die Kontur der istrischen Halbinsel anfügte.
»Verstehe.« Laurenti legte die Stirn in Falten, wie nur er es konnte. »In italienischem Hoheitsgebiet, sagtest du. Werden die Schiffe von der Küstenwache registriert?«
»Nur wenn sie von außerhalb kommen oder im Hafen bleiben, als Gäste«, antwortete Orlando.
»Achtzehn Kilometer vom Land weg«, folgerte Laurenti weiter, »wurde der Autopilot eingestellt?«
Orlando nickte.
»Das würde bedeuten, der Österreicher müßte sich zwischen dort und Triest irgendwie davongemacht haben.«
»Oder er wurde davongemacht, von jemand, der mit ihm auf dem Schiff war und der es mit einem anderen verließ. Oder er ist zufällig über Bord gegangen, hat den Kahn nicht mehr erwischt und soff dann irgendwann ab, oder ein Fischlein hat ihn verschlungen. Aber noch etwas ist auffällig. Das Tau von der Heckwinde war restlos abgewickelt, die ganzen einhundertfünfzig Fuß zog die ›Elisa‹ hinter sich her. Am Ende war eine Schlinge. Die Spurensicherung arbeitet noch. Und die Fender auf Steuerbord waren ausgelegt, nur die, die auf Backbord dagegen nicht. Es hat vermutlich jemand angelegt, so fährt man sonst nicht auf See. In einem der Fender hatte sich der Bootshaken verfangen. Wird auch untersucht. Und, was dich ebenfalls interessieren wird: an einigen Stellen sind keine Fingerabdrücke zu finden. Eindeutig abgewischt.«
»Verdammte Scheiße«, Laurenti war nicht sehr glücklich über diese Auskunft. »Das riecht nach Arbeit. Jetzt kann ich den Sommer abschreiben.«
»Allerdings«, stimmte Ettore Orlando zu, »ich fürchte, du hast zu tun!«
Vor einem Palazzo aus der Mussolini-Ära an der Kreuzung der Via Roma mit der Via Mazzini, in dem sich die Filiale der Deutschen Bank befand, hatten Orlando und Laurenti noch eine Weile geplaudert, bevor sie sich voneinander verabschiedeten. Sie erregten sich über die Häßlichkeit der zwei Bronze-Skulpturen vor dem Gebäude, das so anders war als die üppigen Paläste in seiner Nachbarschaft, die vom einstigen immensen Reichtum Triests zeugten. Im Baustil ein bißchen Wien und ein bißchen Italien, ein bißchen Neoklassik, Byzanz und Jugendstil: eben Triest. Hohe schwere Gebäude aus der Zeit Maria Theresias, die dieses Stadtviertel streng geometrisch anlegen ließ. Im Canal Grande hatten noch bis in die zwanziger Jahre kleinere Handelsschiffe festgemacht, vorwiegend zwei- oder dreimastige Segler. Der nahegelegene Markt auf der Piazza Ponterosso muß einmal groß und üppig gewesen sein.
Nach Meinung Orlandos war es bezeichnend, daß die Deutsche Bank sich ausgerechnet dieses Haus ausgesucht hatte, als hätte es in Triest nicht genug andere freie Flächen gegeben.
»Macht zeigt Macht«, sagte er und hieb mit seiner Pranke gegen die Bronzestatue, die mit dumpfem metallenem Klang antwortete. Zwei Passanten drehten sich erschrocken um. »Sie werden uns das Land noch unterm Hintern wegkaufen.«
Im Haus Via Roma 7 hatte auch die Firma des Österreichers ihren Sitz. Von »Da Primo« aus waren es nur einige Schritte, und Laurenti wollte einen
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