Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
scheuten, in diesen Nobelkarossen herumzufahren! Das Geld, das diese Dinger kosteten, konnte wohl kaum durch ehrliche Arbeit verdient worden sein. Die Kennzeichen vom Balkan würden sie nicht ermitteln können, das dauerte Ewigkeiten, und dann war es unwahrscheinlich, so die Erfahrung, daß Name, Adresse oder Firma stimmten. Alles Lug und Trug. Er bat Sgubin, sich später anhand der Liste die Meldebücher der großen Hotels vorzunehmen, denn schlafen mußten diese Menschen schließlich irgendwo, und er glaubte kaum, daß sie alle in der Villa ihr Quartier gefunden hatten. »Vermutlich genügt es«, sagte Laurenti, »das ›Savoya Palace‹ und das ›Duchi d'Aosta‹ unter die Lupe zu nehmen.«
Als sie in der Via Ponzanino angekommen waren, stellte Sgubin den Wagen in eine Einfahrt. Die Straße war schmal und vollgeparkt. Sie gingen das enge Treppenhaus hinauf, das so aussah, als wäre es in seiner ganzen Geschichte noch nie renoviert worden. Sgubin drückte im dritten Stock gegen die Tür, an der der Name Chartow stand. Sie leistete keinen Widerstand, und die Polizisten sahen auf den ersten Blick, daß sie nicht die ersten waren, die hier einen Besuch abstatteten. Nur waren ihre Vorgänger nicht in friedlicher Absicht gekommen und hatten ein übles Chaos hinterlassen. Kein Gegenstand stand mehr auf irgendeinem der wenigen Möbel, alles lag auf dem Boden verstreut, in Stücke gerissen oder zerschlagen, und selbst die Kissen und Matratzen waren zerschnitten worden. Aber Laurenti entdeckte zwei Dinge, die ihm wichtig schienen. Es gab zwei Zimmer und zwei Betten. Die Wohnung wurde von zwei Personen bewohnt, und zwar von Mann und Frau, wie an den Gegenständen zu erkennen war, von denen er einen mit spitzen Fingern aufhob und in ein Plastiktütchen schob. Es war die Schwarzweißfotografie einer einfach gekleideten, sechsköpfigen Familie in einem anderen Land. Der Rest blieb den »Bestäubern« überlassen, wie Laurenti die Spurensicherung nannte. Er und Sgubin wollten die Hausbewohner befragen, denn ein solches Zerstörungswerk war ohne Lärm nicht zu verrichten gewesen.
Gegen fünfzehn Uhr verließen sie das Haus und hatten nichts erfahren, außer daß gestern gegen Mitternacht in der Wohnung geschrien und getobt worden war. Die Geschwister Chartow hätten dort gewohnt, von denen man sonst nichts wisse. Ausländer, zu denen nur die Signora Bianchi Kontakt habe.
Die Nachbarin, ein weißhaariges Weiblein von gut achtzig Jahren, sehr klein gewachsen und sehr ängstlich, hatte nicht einmal die Kette von ihrer Wohnungstür genommen. Sie sagte nur, daß sie nichts gesehen und gehört hätte. Mit Frau Bianchi wollte Laurenti nochmals sprechen, wenn die Polizei mit ihrer Arbeit in der Wohnung fertig und in das Haus wieder Ruhe eingekehrt war. Sie jetzt zu bedrängen führte zu nichts. Laurenti kannte die alten Triestiner gut genug, um zu wissen, daß eine solche Unruhe, wie sie seine Kollegen im Moment verursachten, alles andere als vertrauenerweckend auf sie wirkte. Er würde entweder am Abend oder am Sonntag Vormittag noch einmal vorbeikommen. Nachdem ihn sowohl seine Frau, sein Sohn und seine Mutter zuvor über das Mobiltelefon gefragt hatten, wann endlich mit ihm zu rechnen sei, drängte es ihn jetzt nach Hause. Er ließ sich von dem braven Sgubin in der Via Diaz absetzen.
13 Uhr – hoher Besuch
Gegen Vincenzo Tremani lag kein Haftbefehl vor. Er war immer ungeschoren davongekommen, konnte sich stets entlasten. Immer wieder stand er in der nationalen Presse unter dem Verdacht, ein äußerst einflußreicher Mann zu sein. Doch war es weder der GICO, der Spezialtruppe der Finanzpolizei gegen organisierte Kriminalität, noch der DIA, den nach FBI-Vorbild organisierten Mafia-Jägern, je gelungen, Beweise zu liefern, obgleich sie ihm über lange Zeiträume auf den Fersen waren. Vincenzo Tremani blieb unantastbar.
Er hatte manikürte Hände und sprach niemals laut. Seine leuchtend blauen Augen kontrastierten mit ihrem stechenden Blick zu dem dunklen Teint, der um Mund und Wangen durch starken Bartwuchs geprägt war, und zu dem glänzenden schwarzen Haar mit exakt geföntem Scheitel auf der rechten Seite. Tremani war zweiundvierzig Jahre alt und stammte aus einem angesehenen Elternhaus. Die Familie galt dank ihres alten Vermögens als eine der einflußreichsten in der Barockstadt Lecce. Ohne Tullio Tremani, seinen Vater, entschied man nichts in der Einhunderttausend-Einwohner-Stadt im Süden Apuliens. Vincenzo Tremani,
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