Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
hingäbe, dann ließe er sie wie ein trotziges Kind nie mehr los. Das hatte Laura auf Distanz gehalten, und Proteo hatte so sehr darunter gelitten, daß er sich immer wieder völlig zurückzog, sich in seine Bücher vertiefte und auch die engsten Freunde vor den Kopf stieß. Aber Laura ging ihm nie aus dem Kopf. Und irgendwann hatte er gewonnen, hatte sie gewonnen und sich selbst dabei fast verloren.
Nur seine Ungeduld war nicht von ihm gewichen. Auch an diesem Spätnachmittag spürte er sie, als er auf dem Weg in sein Büro an der Questura vorbeikam, wo der Leiter der mobilen Streifen seinen Dienst versah. Mit ihm, Fossa, hatte er eine Rechnung offen. Fossa, davon war Laurenti überzeugt, hatte ihm einen Prügel in die Speichen geworfen. Laurenti hatte ihm blind vertraut und war dafür bitter bestraft worden.
Obgleich sie beim Polizeipräsidenten Stillschweigen vereinbart hatten, stürmte Laurenti nun doch in die Questura. Er konnte seine Wut nicht mehr im Zaum halten. Er raste mit langen Schritten und wütendem, starrem Blick durch die Eingangshalle. Die uniformierte Beamtin mit dem fettigen Haar und den kalten Augen, die von einem Podest aus darüber wachte, daß kein Unbefugter das Polizeipräsidium betrat, schaute ihm verwundert hinterher.
Fossa hatte sich schon den ganzen Tag darüber gewundert, daß kein Zeichen des Commissarios kam, kein wütender Anruf von seiner Assistentin. Dieses »loyale Aas« Marietta hatte Fossa noch nie leiden können.
Laurenti riß die Tür zum Büro der Einsatzzentrale auf und stürmte durch den langen Raum mit den Bildschirmen. Er raste an den Beamten vorbei, die zwischen Stellwänden die elektronischen Pulte mit den unzähligen Lämpchen und Knöpfen und den Funkverkehr über Kopfhörer und Mikrofone bedienten. Am Ende dieses Raumes lag Fossas Büro. Er hatte Laurenti bereits durch die große Glasscheibe beobachtet und war aufgestanden. Fossa trug ein kurzärmliges, weißes Uniformhemd mit Schulterklappen. Auf Laurentis blauem Hemd hatten sich schon wieder die obligaten Schweißflecken ausgebreitet. Wie Streithähne standen sie voreinander.
»Was hast du dir dabei gedacht, Fossa?« Laurenti hatte Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand an ihren Spitzen zusammengeführt und bewegte seinen Unterarm wippend vor und zurück.
»Worüber regst du dich auf«, antwortete Fossa, »was können meine Leute dafür, wenn du mit Nutten gesehen wirst?«
»Davon spreche ich nicht!« Laurenti war laut geworden, und die Beamten draußen bekamen große Ohren. »Du hattest Anweisung, zuverlässige Beamte auszuwählen. Statt dessen suchst du die größten Idioten aus, die du finden konntest. Warum, Fossa, warum? Sag mir, warum du das getan hast!«
»Ich bin mir keiner Schuld bewußt! Vicentino und Greco sind absolut in Ordnung. Die Medien berichten doch sowieso, was sie wollen. Und außerdem war ich es, der dir von dieser idiotischen Idee, einen Schmierfinken mit auf Streife zu schicken, abgeraten hat!«
Fossa wollte sich setzen, doch Laurenti faßte ihn an der Schulter und zog ihn wieder zu sich heran. Fossa wand sich aus dem Griff. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Köpfe voneinander.
»Fossa! Du hast gegen die Anweisungen gehandelt. Ich werde ein Disziplinarverfahren gegen dich einleiten.«
»Mach, was du willst, Laurenti! Das kümmert mich einen Dreck! In nicht einmal eineinhalb Jahren hab ich’s hinter mir. Daran ändert auch ein Verfahren nichts. Und befördert werde ich ohnehin nicht mehr. Das habe ich schon lange begriffen. Mach, was du willst!«
»Ich verlange einen schriftlichen Bericht von dir, Fossa! Bis morgen früh um acht Uhr! Und bring mir die Akten von Vicentino und Greco gleich mit! Du wirst dich noch wundern.« Laurenti stieß seinen Zeigefinger wiederholt auf die Brust des um einen Kopf größeren und zwei Schultern breiteren Fossa. »Dies ist ein Befehl! Hast du verstanden? Riskier nicht zu viel, Fossa! Das geht ins Auge!«
Die Beamten im Saal waren aufgestanden und standen im Halbkreis um die Widersacher herum. So etwas hatte es schon lange nicht mehr gegeben.
Fossa wußte, daß er nicht übertreiben durfte. »Zu Befehl«, sagte er, schlug die Hacken zusammen, salutierte und stand einen Augenblick stramm. Er hatte ein verwegenes Lächeln im Gesicht. »Ich habe es gehört, jetzt habe ich zu tun!«
»Um acht morgen früh«, sagte Laurenti scharf, »Punkt acht!« Dann drehte er sich um und stürmte wütend aus dem Büro. Die Tür, die immer offenstand, schlug er
Weitere Kostenlose Bücher