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Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Titel: Heinrich Mueller 01 - Salztraenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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Gott zum Mistführen gerufen. So wird der Arbeit ein hoher Stellenwert gegeben. Wer sich anders verhält, ist ein Sünder.«
    »Wie Therese Bär?«, fragte Nicole.
    »Da war es eher die fleischliche Sünde.«
    »Also Willy Röthlisberger, der Tote von der Schrecknadel«, sagte Müller.
    »Genau. Der hat den Tag im Müßiggang an sich vorbei ziehen lassen und sich über die Leute im Tal lustig gemacht.«
    »Also ist Beat Eichenberger zu ihm hochgestiegen, hat ihn bekehren wollen …“
    „… Willy hat ihn ausgelacht …“
    „… und Beat hat die Kühe aufgeschreckt, die zu nahe an den Abgrund geraten sind.«
    Ramseier nickte und sagte: »Wenn er zum richtigen Zeitpunkt eine Mutterkuh mit ihrem Kalb in die Herde stellt …“
    „… und das Tier kennt den Senn nicht …“
    „… dann greift es ihn sofort an, wenn er dem Kalb zu nahe kommt.«
    »Da Willy vom Jungtier nichts weiß, reicht ein falscher Schritt, ein schnelles Zurückweichen.«
    »Und wenn die Kuh wieder unten ist, kannst du lange nach Beweisen suchen.«
    »Wer hat denn die Herde geholt, damals?«, fragte Müller.
    »Das war Beat. So etwa wird es gewesen sein. Genau weiß es keiner. Denn die menschliche Gesellschaft hat sich zusammengetan zur Überwindung der Knappheit. Deshalb wird gearbeitet. Und wenn eine Knappheit an religiösem Eifer besteht, muss jemand dafür sorgen, dass sich die Menschen wieder dem alten Glauben zuwenden. Falls der Pfarrer dazu nicht in der Lage ist, muss das ein Gemeindemitglied erledigen.«
    »Wenn ich das richtig verstanden habe«, meinte Lucy, »wenn ein Mangel an Leichen besteht, muss man jemanden töten.«
    »Ob die Theorie derart schlüssig ist, weiß ich nicht«, antwortete Ramseier. Dann schnaubte er durch die Nase und ergänzte: »Wir kommen in das Alter, in dem das Wäldchen langsam abgeholzt wird. Viele Menschen machen in ihren Geschichten ihre Arbeit so wichtig, dass sie überzeugt sind, ohne sie gehe gar nichts mehr. Dann stürzen sie sich umso stärker auf jede Überstunde, um so das Mitleid der anderen zu erregen und sich selber zu beweisen, dass sie unersetzlich sind. Es ist aber keiner unersetzlich. Das hat etwas Bedrohliches, aber auch viel Tröstliches. Es zeigt sich selbst beim Workaholic daran, dass er seine alte Arbeit ganz schnell als eher unwichtig einstuft, sobald er eine neue hat. Alle anderen können sich zurücklehnen und sagen: ›Es geht auch ohne mich. Warum soll ich mich dann so sehr über die Arbeit aufregen? Es profitieren nur meine Vorgesetzten, die mich besser unter Druck setzen können.««
    Aber das sind halt Tugenden, nach denen der Zeitgeist eben nicht schreit wie ein Hirsch nach einer Wasserquelle …
    »Darf ich fragen, was mit deiner Frau geschehen ist?« Müller unterbrach Ramseiers Redeschwall nur ungern, aber er wollte in der Sache weiterkommen. »Sie ist doch bereits vor Röthlisberger gestorben.«
    Der Alte blickte aus dem Fenster in die Ferne. Nach einigen Sekunden, in denen Müller bereits einen Rückfall befürchtet hatte, regte er sich wieder und sagte: »Sie ist im Winter in die Ilfis gestiegen. Ihre schweren Kleider haben sich schnell mit Wasser voll gesogen, und da Barbara nicht schwimmen konnte, hatte sie keine Chance.«
    »Ein klassischer Selbstmord also. Aber du sprichst die ganze Zeit von einem Mörder. Weshalb?«
    »Es ist eine Familiengeschichte. In früheren Jahrhunderten wurden die Höfe im Emmental innerhalb der Familie an den jüngsten Sohn vererbt. So konnten die Eltern möglichst lange wirtschaften, bevor sie ins Stöckli verbannt wurden, verbraucht von einem frommen, arbeitsamen Leben und für damalige Zeiten alt. Barbara war vor meiner Zeit Paul Eichenberger versprochen, dem Onkel von Werner, ebenfalls Käser im Schattgraben. Einen Monat vor der Hochzeit - die Verlobung hatte man bereits gefeiert – entdeckte Paul seine religiöse Sendung und verschwand als Missionar auf die Philippinen. Keiner hat mehr etwas von ihm gehört. Man hat gemunkelt, seine sexuellen Interessen hätten keineswegs den Frauen gegolten, was man aber damals in dieser Gegend nicht auf die Fahne geschrieben hat. Es war also eher die Angst vor dem Weib, die ihn aus dem Land getrieben hat.«
    »Du hast Barbara später geheiratet?«, fragte Nicole.
    »Nach einem schicklichen Jahr Wartezeit haben wir uns vermählt. Ich hatte früher schon ein Auge auf sie geworfen, und sie fand mich auch nicht unsympathisch. Als Bergbauernsohn ohne Geld war jedoch kein Kraut gewachsen gegen die Abmachung

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