Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Titel: Heinrich Mueller 01 - Salztraenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
Vom Netzwerk:
auf.
    Ein Witzbold sagte: »Er hat wohl den Eltern die Schülertransportkosten nicht rechtzeitig zurückerstattet.«
    Es war ein Insiderwitz, der auf die letzte Gemeindeversammlung Bezug nahm. Überhaupt bot diese Stoff zu neuen Spekulationen. Jemand hatte den Vorschlag einer Umfahrung des Schachens gemacht, um die Feierabend-Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen. Es fiel die Idee eines Tunnels unter der Wildegg durch, eine Luxusvariante, die in nichts der Lösung anderer schweizerischer Verkehrsprobleme nachstand. Deshalb fühlte man sich doch nicht völlig unberechtigt zu dieser Forderung, insbesondere, da Tunnels kantonales Hoheitsgebiet waren und vom Kanton Bern auch finanziert werden mussten. Da ein solcher Plan die Gemeindekasse weniger belasten würde als eine zusätzliche Ortsstraße, fand er immer mehr Freunde, unter anderen den Gemeindeschreiber.
    »Wir müssen auch an den Tourismus denken«, sagte Fankhauser damals.
    Therese Bär, vehemente Gegnerin des Projekts, entgegnete: »Du denkst an all die Hundebesitzer, die ihren Köter eine halbe Stunde ausführen und dafür eine Stunde im Auto hin und zurück fahren!«
    So knüpfte man eine Verbindung zwischen den beiden Morden. Dass die Absurdität des Plans an der Versammlung dann doch zur deutlichen Ablehnung der Idee führte, blieb hingegen unerwähnt.
    Zuletzt drückte sich der völlig verschwitzte Ex-Schwingerkönig noch auf die Bank, die unter Ächzen nachzugeben drohte, denn noch einmal 120 Kilo waren selbst für das stärkste Holz zu viel. Mit einem beleidigten Fauchen räumte der fette schwarz-weiße Kater auf der Lehne seinen Platz und rannte durch die vielen Beine der Küche entgegen. »Der frisst sich wieder kugelrund, damit er für die Katzenjagd im Frühling gerüstet ist«, spottete einer. »Das wär doch was für dich!« Mit einem Schlag auf die Wampe des ›Woyzeck‹ brachte er sich allerdings selber in Gefahr.
    Der aber brummte nur und sagte: »Schön wär’s. Stell dir vor: Die Männer ziehen im Frühjahr während der Brunft heulend durch die Dörfer. Man sieht sie tagelang nicht zu Hause, und sie nehmen die Hälfte ihres Gewichts ab, das ganze angefressene Fett.«
    Der Angesprochene lachte. »Aber wenn sie zu sehr heulen, werden sie kastriert. Dann singen sie die hohen Stimmen im Kirchenchor.«
    »Und der Käser ist dermaßen erschöpft, dass er keinen Laib mehr stemmen kann.«
    »Wo ist der Werner überhaupt?«, fragte der Schwinger. »Bei der Aufführung habe ich ihn nicht gesehen, obwohl er sein Kommen doch angekündigt hatte.«

Sonntagnachmittag, 24.9.2006
    Müller hatte die letzte Bemerkung als Fingerzeig verstanden, zwinkerte Nicole zu und begab sich mit ihr aus der Wirtschaft hinaus. Sie wechselten die paar Dutzend Meter hinüber zum Bären , wo es sehr viel ruhiger und gesitteter zu und herging, sehr zum Missfallen des Wirts, der sich auch gern ein Stück vom Kuchen abgeschnitten hätte.
    Die beiden setzten sich an einen freien Tisch. Nicole nahm das Magazin eines Großverteilers zur Hand, das auf der Rücklehne der Fensterbank lag, obwohl kein Geschäft der Kette im Graben vorhanden war. Sie blätterte ziellos die Seiten durch, bis die bestellten Getränke auf dem Tisch standen.
    »Was suchst du?«, fragte Müller.
    »Nichts Besonderes. Ich schau mir die Leserbriefe und die Kontaktseiten an, das gibt für die Ethnologie der heutigen Schweiz ebenso viel her wie eine statistische Untersuchung. Hier zum Beispiel sucht eine Frau einen Jugendfreund aus den Achtzigerjahren. Einen Giovanni, der in einem Hotel in den Bergen an der Rezeption gearbeitet hat, währenddem sie Kellnerin war.«
    »Was schließt du daraus?«
    »Dass eine tiefe Sehnsucht nach der Vergangenheit besteht und man sich eine frühe Liebe in späteren Jahren mit verklärtem Blick zurückwünscht. Dabei können die 20 Jahre Altersunterschied nicht ungeschehen gemacht werden, und die Sehnsucht bleibt Illusion.«
    »Ich erklär dir jetzt das System Müller , mit dem ich an eine Untersuchung herangehe. Oft bin ich damit erfolgreicher als mit herkömmlichen Ermittlungsmethoden.«
    »Worin besteht das System?«, fragte Nicole.
    »Erst musst du zu Lucy werden, sonst funktioniert es nicht. Ich bin Henry«, meinte Müller, »das ist die Voraussetzung. Und jetzt noch mal. Was steht in diesem Inserat?«
    »Eine Frau sucht einen Mann.«
    »Und weiter?«
    »Sie wünscht sich eine Jugendliebe zurück.«
    »Das ist die Oberfläche. Was ist mit dem Untergrund?«
    »Er ist ein

Weitere Kostenlose Bücher