Heinrich Mueller 01 - Salztraenen
der Eltern, denn die geplante Hochzeit mit dem Käser versprach, das Glück ins Haus zu bringen. Obwohl jetzt alle hätten froh sein können, dass die Angelegenheit ein befriedigendes Ende gefunden hatte ohne Gesichtsverlust für die Beteiligten, hat uns niemand im Dorf diese Verbindung verziehen. Zu mächtig waren die Interessen der Familien. Erst als ich meine Stelle bei der Bahn erhielt und der Hof zum Nebenerwerb wurde, ist nach langen Jahren etwas Ruhe eingekehrt. Deshalb habe ich es mir auch erlaubt, das ganze Tal mit meiner geistigen Verwirrung zum Narren zu halten.«
»Aber die Familie Eichenberger hat keine Ruhe gegeben«, konstatierte Nicole.
»Immer wieder wurde meine Frau angegangen. Dass sie von Pauls Eltern verleumdet wurde, konnten wir ja noch verstehen. Aber selbst sein Neffe hat uns regelmäßig schikaniert, bei der Milchabnahme betrogen oder die Qualität schlecht geredet. Über die Jahre ist es etwas eingeschlafen, bis Beat auf den Plan getreten ist, als er in seinen religiösen Wahn verfallen ist. Meine Frau hat sich über die Jahrzehnte als Kräuterkundige und Gartenkünstlerin Beachtung verschafft. Alle Tage kamen Bäuerinnen zu uns, die von ihr lernen wollten. Barbara hat die Pflanzen nach dem Mondkalender gesät, gepflegt und geerntet. Zur Bekämpfung der Schädlinge hat sie mit dem Ungeziefer gesprochen. Sie hat mit Milben und Käfern Verträge geschlossen, ihnen einen Anteil am Ertrag versprochen und sie darauf verpflichtet, die Ernte der Menschen unangetastet zu lassen. Ich fand das zwar mit ziemlich viel Aberglauben verbunden, aber unerklärlicherweise hat es funktioniert. Im Gegensatz zu Habegger hat Barbara stets auf die lange Tradition der Kräuterhexen verwiesen, was in der Zeit boomender Esoterik natürlich besonders gut angekommen ist.«
»Aber nicht beim jungen Eichenberger«, sagte Müller.
»Barbara ist immer noch jeden Sonntag zur Predigt gegangen. Dort hat man Beat nie gesehen. Seine Religion war ein privater Bekehrungskrieg, unter dem auch meine Frau zu leiden hatte. Er hat sie so sehr bedrängt und vor allen anderen schlecht gemacht, dass Barbara keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat. Ganz genau habe ich es immer noch nicht verstanden. Und Beweise, Beweise habe ich keine.«
Ramseier schwieg. Überhaupt war es still in der Gaststube. Alle Blicke waren auf die Drei gerichtet, wie wenn weitere Enthüllungen im Raum stünden.
»Und die Morde in der vergangenen Woche? Hängen die auch mit dem Vorangegangenen zusammen?« Müller fragte niemand Bestimmten.
»Ich habe es nicht genau herausgefunden«, antwortete Ramseier. »Meine Theorie lautet so: Bähler hat geahnt, was vorgefallen ist, und hat Eichenberger erpresst.«
»Dann hätten ihn Vater und Sohn auf dem Gewissen«, ergänzte Nicole.
»Ziemlich sicher«, sagte Ramseier.
Müller nahm sein Handy aus der Innentasche seines Jacketts, rief Spring im Hirschen an und gab ihm die Details weiter. Sie würden gemeinsam zu Eichenberger, der ja nicht zum Bluttest angetreten war, hinausfahren. Müllers Auto stand in Bern, und einen Verdächtigen verhaften durfte auch im Emmental nur die Polizei.
Dann fuhr Ramseier weiter: »Soviel ich weiß, war Bähler der Liebhaber von Therese Bär. Ich will die Frau ja nicht schlecht machen. Sie kam mit Ernst aus der Stadt und war ein anderes Leben als bei uns Hinterwäldlern gewohnt. Und dann mit diesem ›Sürmel‹ auf der Wildegg! Ernst ist in die Stadt abgehauen, weil er was Besseres als ein Bergbauer sein wollte. Dann ist er mit dieser Aussteigerin wieder angetanzt und hat den Elternhof übernommen, als die beiden alten Leutchen kurz nacheinander gestorben sind. ›Liederlich‹ ist das Netteste, was man über das Wirtschaften dort oben sagen kann, außerdem war Ernst regelmäßig betrunken. So mochte man Therese eine Abwechslung wohl gönnen.«
»Dann hat es doch der Ernst getan«, sagte eine laute Stimme vom Nebentisch.
»Ich glaube eher«, Ramseier wandte sich an seinen Vorredner, »dass Housi der Therese alles über seine Erpressung gesagt und ihr Hoffnungen auf eine bessere Zukunft gemacht hat. Sie musste also sterben, weil sie zu viel wusste.«
»Und der Gemeindeschreiber?«, wollte dieselbe Stimme wissen.
»Hat auch in der Angelegenheit rumgestochert. Du erinnerst dich, dass er alle immer wieder nach den ungeklärten Todesfällen gefragt hat. Vielleicht hat ihm Therese in letzter Not mehr erzählt.« Dann wandte er sich wieder Nicole und Heinrich zu, der zum Aufbruch drängte
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