Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot
Technologien gegen sexuelle Belästigungen austauschen.«
Müller schüttelte den Kopf.
»Dafür ist das Schweizer Militär zu naiv. Aber falls die E. Ts. mir nützliche Tipps geben, wüsste ich ein paar Leute, die sie belästigen könnten, es muss nicht unbedingt sexuell sein, die Implantation von Sendern genügt.«
Mindestens zwei vorübergehende Enki-Anhängerinnen waren gewonnen, aber leider noch kein Frosio-Bild verkauft, als Heinrich die Fotos von F. K. Swiss genauer unter die Lupe nahm. Auf jedem fehlte mindestens eine der anwesenden Personen. Er dachte an die manipulierten Fotografien von Staatsmännern, die in Ungnade gefallen waren und die man mit nicht immer perfekten Methoden aus den offiziellen Aufnahmen getilgt hatte. Es blieb mal ein Schuh übrig, eine Hand im Leeren, ein Schatten, der niemandem gehörte. Heute war alles viel einfacher. Beinahe jedem gelang es, ein Foto im Computer zu manipulieren. Deshalb erstaunte es Heinrich nicht, dass er in der Schar fröhlicher junger Menschen fehlte. Das Bild hing voller Unschuld an der Wand, und mit dem Entfernen seiner Person hatte man bereits die Erinnerung an das Fest gelöscht, das ihn noch einmal die frühen Jahre hätte fühlen lassen.
»Aber das ist doch gerade die Schönheit«, sagte F. K. Swiss, ohne dass er ihn gefragt hätte, »dass man dich retouchiert. Die gedankliche Leerstelle sublimiert die vorgetäuschte Fröhlichkeit zu einem Klischee. Du bist in deiner Abwesenheit wesentlich präsenter als in der realen Fotografie.«
Bäcker Andreas Bohnenblust hielt derweil hinten in der Ecke eine Rede, die wohl seinem Bierglas galt: »Du hast es leicht, musstest nur vor dich hin gären und bist durch stetes Umrühren und Erhitzen und Abkühlen zu einem schmackhaften Getränk geworden. Ich hingegen habe den Ursprung aller Nahrung in den Händen, ein ehrwürdiges Produkt mit ewiger Tradition. Der Geruch des gerösteten Mehls im Ofen vermittelt Zufriedenheit, die saure Hefe bringt mich in Fahrt: Ich mische Mehl mit Wasser, Hefe, Salz und Butter und knete den Teig mit meinen eigenen Händen, bis er eine zähflüssige Masse bildet. Ich rieche, wenn er reif ist, mit meinen Fingern forme ich Laib um Laib oder flechte einen Zopf. Alle Vorgänge sind Handarbeit, nicht wie diese Convenience-Bäcker, die ihre Brote als Halbfabrikate vom Industriebetrieb beziehen. Bei mir haben die Teiglinge noch Namen: Mütschli, Bürli, Semmeli, Weggli, Pausenbrötli, Gipfeli, Silserli, Bärenbrot, Chnebubrot! Und dazu der Geruch, der vom frischen Brot aus dem Ofen steigt, dieses angebrannt Nussige, der karamellisierte Zucker, das Malz und die Hefe. Ein köstliches Lebensmittel! Aber spülen, hinunterspülen muss man es mit einem kühlen Schluck von dir, mein Bier.«
»Wenn ich endlich mal Eingang in die Kunstgeschichte gefunden hätte, werde ich aus den Fotos getilgt, und das in meinem eigenen Haus«, jammerte Heinrich Müller wein-und schlaftrunken, nachdem die Vernissagebesucher sich an prestigeträchtigere Orte verzogen hatten.
»Mach dir nichts draus, du hast andere Qualitäten«, tröstete Leonie und durchbohrte ihn mit ihrem Blick.
Nicole hatte ein Vornamenbuch in die Hand bekommen. Ihre Augen blitzten.
»Heinrich«, las sie vor, »hat sich entwickelt aus Heimerich, althochdeutsch für ›reiches, mächtiges Haus‹, bekannt durch Kaiser und Könige, Herzöge und Fürsten, Dichter und literarische Gestalten.«
»›Heinrich! Mir graut’s vor dir‹, hat Gretchen in Goethes ›Faust‹ gesagt«, neckte Leonie.
»Aber zuerst hat sie ihn angehimmelt«, erwiderte Henry. »›Du bist ein herzlich guter Mann.‹ Halt dich also lieber an die Könige. Wie viele davon hat es gegeben?«
»Schwer zu sagen«, meinte Nicole und gab den Namen im iMac ins Suchprogramm ein. »Mindestens vier Franzosen namens Henri, acht englische Henrys, berühmt durch Film und Theater, berüchtigt für den Hundertjährigen Krieg und die Entsorgung von Ehefrauen.«
»Und die Deutschen?«, fragte Leonie.
»Haben lustige Beinamen: Heinrich I. wurde auch Heinrich der Vogeler, der Finkler oder der Burgenbauer genannt. Dann gab’s einen Herzog Heinrich II. der Zänker, einen Heinrich II. Jasomirgott, der König Heinrich II. hieß der Heilige, ein anderer Herzog Heinrich der Löwe, insgesamt je nach Zählung sieben oder acht.«
»Zum Glück keine Päpste«, sagte Henry trocken.
»Wir sollten unserem Detektiv auch einen Beinamen geben«, meinte Leonie. »Wie wär’s mit Heinrich der
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