Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot
Paddeldruck entgegen.
Der Nachmittag hatte bereits mühsam begonnen.
Baron Biber lag an einem Schattenplätzchen unter der Pergola. Der Streuner Ginger hatte sich zu ihm gesellt und berührte ihn beinahe, was er früher nie geduldet hätte. Wie schlaffe Würste mit für die stockende Hitze viel zu dickem Fell bedeckten die beiden Kater die Bodenplatten, zuckten in ihren Träumen mit den Pfoten, die sie ab und zu kurz schüttelten oder mit der rosa Zunge abschleckten, wenn sie ein Insekt störte, eine Ameise ihren Weg suchte oder ein Blatt herabfiel.
Als er die ersten Kracher hörte, erhob sich Baron Biber, der ältere der beiden, zog seinen Schwanz ein und kroch geduckt und zögerlich, eng an die Wand geschmiegt durch die Tür des Bauch & Kopf ins vermeintlich sichere Zuhause, wo er sich für die kommende Nacht im Katzenklo einrichtete. Denn er wusste aus Erfahrung, dass der 1. August Silvester den Rang der lautesten Nacht des Jahres streitig machte, Böller und Raketen im Himmel lärmten, beunruhigende Geräusche entstanden, bei denen man die Richtung, aus der sie kamen, nicht mehr erkennen konnte, und die Baron Biber deshalb noch mehr ängstigten als ein heftiges Donnergrollen.
»Immer dasselbe«, kommentierte Heinrich den Abgang des Katers, »auch in seinem zwölften Lebensjahr weiß er noch nicht, dass der Krach ihm nicht schaden wird, sondern den Menschen die perverse Freude bereitet, die die Verwechslung von Lebenslust und Lärm hervorruft. Die Schweizer haben schon lange keinen Krieg mehr geführt, deshalb wollen sie einmal im Jahr wissen, wie das tönt.«
»Wenn sie das für den Rest des Jahres ruhig stellt …«, sagte Nicole.
»Na ja«, konterte Leonie, »die alten Eidgenossen haben auch schon rumgelärmt, mit Feldschlangen im Schlachtgetümmel, mit dem Trommeln der Morgensterne auf Blechhelmen und mit dem Schreien der Schwerverwundeten.«
Die Luft war bereits erfüllt von einer Kakofonie des Gestanks: nicht verbrannte Grillanzünderflüssigkeit setzte sich in den Nüstern fest, verkohltes Fett plagte die Lunge, und über alles legte sich der beißende Geruch des Gifts aus chinesischem Feuerwerk. Dazu das Krachen der Böller, das Zischen der Raketen, das Zerbersten der Feuersterne, eine sinnlose Illumination des Nachmittagshimmels.
In diesen Lärm hinein war auf Heinrichs Handy der Anruf des Regisseurs eingegangen. Er müsse ihn unbedingt sehen. Allein. Er erwarte ihn in einer Viertelstunde an der Aarebrücke in Münsingen. Dann brach die Verbindung ab.
Müller packte seine Tasche und fuhr mit dem Wagen zum Treffpunkt.
»Ich möchte mich mit Ihnen allein unterhalten«, begann Coudray das Gespräch. »Keine Zeugen, keine Aufzeichnung, das Handy bitte ausschalten.«
Daraufhin zeigte er auf ein schweinchenrosa Gummiboot, das bei der Einstiegsstelle in die Aare am Strand lag.
Müller zögerte, wollte sich aber diese Chance nicht entgehen lassen. Sie stiegen ein, nachdem sie das Boot in die Fluten gestoßen hatten. Es ging nicht ohne nasse Schuhe, da es an diesem Tag jedoch heiß war, spielte es keine Rolle. Seltsam nur, dass die beiden Herren unter den vielen anderen, die sich an diesem Feiertag nach Bern hinuntertreiben ließen, die einzigen vollständig Bekleideten unter all den Badehosenträgern waren. Sie wirkten lächerlich.
»Ich könnte Sie nun darum bitten, Ihre Kleider auszuziehen«, sagte Coudray, »dann wäre auch klar, dass Sie kein Aufnahmegerät bei sich tragen. Deshalb diese Umstände. Denn das strömende Wasser erzeugt so viele Störgeräusche, dass Aufzeichnungen wertlos wären.«
Nun wurde Müller zum ersten Mal bewusst, dass er sich in eine gefährliche Situation begeben hatte.
»Haben Sie Angst?«, fragte Coudray, genoss seine Überlegenheit und beschwichtigte kurz darauf: »Kein Grund zur Sorge.«
»Das sagen Sie!«, ereiferte sich der Detektiv. »Ein Mörder läuft frei herum, und ich soll mir keine Sorgen machen! Bei beiden Morden war ich nahe genug, dass es mich selbst hätte treffen können.«
»Und Sie glauben, Sie sitzen jetzt zum dritten Mal mit dem Täter im selben Boot?«
»Nein. Aber Sie könnten das nächste Opfer sein.«
Für einen Augenblick gab dies auch Thierry Coudray zu denken.
»Wäre möglich«, sagte er sarkastisch.
»Jedoch nur, wenn Sie den Mörder decken«, meinte Müller.
»Ich verdächtige jemanden«, erklärte der Regisseur.
»Bevor Sie mir davon erzählen«, wandte der Detektiv ein, »sagen Sie mir, weshalb Sie damit nicht zur
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