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Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Titel: Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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nehme ich denn Abschied von dir, Helena meiner Träume, Xanthippe meiner Alpträume. Schuld ist ein Begriff des frühen Bürgertums. Lass mich deshalb sagen: Es war unabänderliches Schicksal und der Geist des Augenblicks, der Faust dem Teufel überantwortet. Du aber bist mein blauer Engel.‹«
    »Ziemlich wirr«, fand Leonie.
    »Beängstigend«, sagte Nicole.
    »Gefährlich«, meinte Heinrich. »Für ihn ist die Welt ohne Ursache und Wirkung. Er fragt nicht nach den Gründen. Er anerkennt den gegenwärtigen Zustand als den allein interessanten. Das Auto liegt da. Ein Mensch sitzt drin. Er ist tot. Schnitt. Delia Zimmermann ist ein Ideal und ein Idol zugleich. Sie wird zu wichtig. Sie muss sterben.«
    In diesem Moment schwebte der Duft gerösteter Zwiebeln aus der Küche.
    »Es ist immer etwas Lächerliches dabei«, sagte Nicole, die es ebenfalls gerochen hatte. »Man redet über den Tod, eine Tragödie mit Zwiebelgeruch, ein Nachruf vom – soll ich’s sagen – Mörder? Eine im Kopf stecken gebliebene Kugel, das Totem und seine Bedeutung – die Dinge lassen sich nicht voneinander trennen. Das Beklagenswerte und das Erhabene liegen zu nahe beieinander.«
    »Das heißt«, fasste Heinrich zusammen, »Pierre Roth ist zu unserem Hauptverdächtigen aufgestiegen?«
    »Liegt auf der Hand«, sagte Leonie. »Aber ihr müsst den Mann erst finden. Wenn er die Horrorshow in Bellelay ohne Schaden überstanden hat, und darauf Weist sein Facebook-Eintrag hin, dürfte dies nicht so einfach sein.«
    »Darüber solltest du mal mit deinem Kommissar sprechen«, sagte Nicole.
    »Störfahnder!«, korrigierte Heinrich. »Und meiner ist er auch nicht. Ich glaube aber, es ist an ihm, sich zu melden. Immerhin hat Cäsar Schauinsland die Seiten gewechselt, da ist er mir eine Erklärung schuldig.«
    »Meinst du nicht«, sagte Leonie, »dass dahinter eine kleine, süße Polizistin steckt?«
     
    Schließlich widmeten sich die drei wieder ihren Hobbys, der Zeitung, den Büchern. Überall tauchten nun Anekdoten auf, die in irgendeiner verworrenen Art mit dem Fall in Zusammenhang stehen mochten. Oder auch nicht.
    Lucy – wie sich Nicole Himmel in ihren dunklen Stunden nannte – fand die Antwort auf die letzte Preisaufgabe der Berner Philosophischen Gesellschaft. Anschließend befasste sie sich mit ihren Recherchen zu Schweizer Krimis aus dem Murtenbiet.
    Leonie beschäftigte sich mit ihrem Horoskop für den nächsten Monat, das vor allem in Liebesdingen wenig Aufregendes versprach. Status Quo mit alterndem Detektiv. So war es zwar nicht vermerkt, aber zwischendurch fühlte es sich so an.
    Henry schlug die Berner Zeitung auf. Stalder schrieb: ›Kein Quartier ist in Bern so geeignet, Verbrechern Unterschlupf zu bieten wie der Breitenrain. Zur Zeit General Guisans war die dort liegende Kaserne dazu ausersehen, dereinst seinen Namen zu tragen.‹
    »Was für ein schwülstiger Quatsch«, reklamierte Leonie. »Wer ist dieser Stalder?«
    »Ein Schreiberling«, antwortet Henry, »macht den Lifestyle, aber seit kurzem auch die Gerichtsreportage sowie die gröbsten Unfälle. Ab und zu betätigt er sich auch literarisch und unterhält die Kolumnen ›Skizzen aus dem Alten Bern‹ und ›berühmte Grabmäler auf dem Schosshaldenfriedhof‹, was leider auf seinen Stil durchgeschlagen hat.«
    »Ein wahrer Enzyklopädist«, spottete Leonie.
    Das war das Stichwort für Henry. Wenn es die Enzyklopädie noch nicht gegeben hätte, hätte er das Lexikon erfunden, nämlich das unvollständige, unsystematische, nach eigenen, lustvollen Kriterien geordnete. Allerdings war er dafür Jahrhunderte zu spät geboren. Vielleicht konnte er aus seinem Nachlass eine Sammlung der Öffentlichkeit überreichen, die nicht das Erhaltenswerte förderte, sondern den Zerfall dokumentierte, nicht das Schöne ausstellte, sondern das Unvollkommene, nicht die Vollständigkeit anstrebte, sondern die Lücke öffnete.

Samstag, 1. August 2009
    Am Ufer leuchteten in mattem Orange die noch nicht ganz reifen Früchte der Vogelbeerbäume.
    Ein Gläschen von diesem bitteren Schnaps könnte ich jetzt vertragen, dachte Heinrich Müller, als er auf die speerspitzenartigen Blätter hinaufblickte. Daraufhin packte er das Paddel und lenkte das wacklige Gummiboot so nah wie möglich ans Ufer, was auf der reißenden Aare, die nach den letzten Gewittern viel Wasser führte, kein leichtes Unterfangen war.
    Dem Detektiv gegenüber saß Thierry Coudray im schwankenden Boot, lächelte und hielt Müllers

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