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Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Titel: Heinrich Mueller 05 - Mordswein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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für mein Urteilsvermögen beleidigend. Ich töte doch keine Clowns! Zwar wären alle diese Witzfiguren fällig. Ich danke also für die gezielten Anregungen zur Erweiterung meiner eigenen Todesliste. Einige Vorschläge sind durchaus bedenkenswert. Aber der Tod ist das, was diese Leute am wenigsten fürchten. Dann wären sie ihre Betrügereien, ihre Schulden und ihre anderen Vergehen los und müssten nicht für sie geradestehen. Ich hingegen brauche keine Bibel, um zu sagen: Es wird ihrer, was sie verdienen!«
    Der Störfahnder schüttelte den Kopf. Andererseits zeigte dieser Fax vielleicht einen Weg auf, wie der Täter zu packen wäre: bei seiner Eitelkeit. Offenbar las er die Gratiszeitung. Dennoch war Bernhard Spring nicht der Typ, fingierte Grußbotschaften in der Öffentlichkeit zu platzieren. Nicht, solange sie ein Schuss ins Blaue waren, nicht, bevor er die Schwächen seines Gegners kannte. Dessen Mitteilungsbedürfnis könnte durchaus eine davon bedeuten. Der Störfahnder aber war weit davon entfernt, diesen Makel zu seinen Gunsten ausnützen zu können.
    Möglicherweise ließe sich der Täter gezielt beleidigen? Man könnte ihm Schlamperei oder Misserfolg vorwerfen, weil er nur untergeordnete Kader zu behelligen vermochte. Bisher! Aber dann ging man von derselben Prämisse aus wie die Partei, nämlich dass die Morde gegen eine politisch-patriotische Gruppierung gerichtet waren, die sich selbst für den Nabel der Welt hielt. Das konnte einen auf falsche Spuren locken, weil man andere Motive vernachlässigte. Allenfalls war die Parteimitgliedschaft eines der zufälligen Elemente in einem Puzzle, das bei zusammengesetztem Bild einen ganz anderen Schwerpunkt sichtbar machen würde.
     
    »Die Sagen und Märchen dieser Welt«, erklärte Nicole Himmel, als sie mit Heinrich Müller in seinem schwarzen Opel Astra an den Bielersee fuhr, »werden erzählt wie gesprochene Lieder. Sie enthalten einen stabilen Kern, ein Motiv, um das herum sich während Generationen Variationen anreichern und die mit dem immer gleichen Refrain enden. Drei mal drei Aufgaben hat der Held zu erledigen, bevor er seine Geliebte wiedersehen darf, und er begegnet dabei den Übeln dieser Welt, wenn er auf Zwerge, Hexen und Meerjungfrauen, auf Ritter, Teufel und Rapunzel trifft, auf Dornröschen, Schneewittchen oder Alice im Wunderland, auf einen Drachen, die Schattenarmee und den mystischen König, die unter Tage einen unermesslichen Schatz bewachen.«
    »Und?«, fragte Heinrich unbeeindruckt.
    »Das Muster erstreckt sich auch auf Aussagen von Menschen zu einem Ereignis, das in ihrem Leben Bedeutung erlangt. Die gebetsmühlenartige Wiederholung schafft eine gewisse Vertrautheit mit dem Gesprochenen, es wirkt wie eine Wahrheitsbezeugung aus dem Mittelalter, als die Erzähler den langen Epen Sätze voranstellten wie ›Ik gihorta dat seggen …‹, also ›Ich habe aus zuverlässiger Quelle erfahren …‹.«
    »Folgt der Beteuerung auch die Wahrheit?«, wollte Müller wissen.
    »Ja und nein. Nicht, wenn wir von unserem historischen Wahrheitsbild ausgehen, obwohl auch dieses stets nur eine Annäherung an das reale Geschehen ist, das immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln erfahren wird. Ja, wenn es darum geht, einen Inhalt an nachfolgende Generationen weiterzuleiten, sozusagen eine ›ewige‹ Wahrheit, wie wir sie auch in religiösen Schriften finden. Natürlich sind sie jeweils nur aus ihrer Entstehungszeit heraus verständlich, denn eine vorderasiatische Nomadenweisheit hat wenig zu tun mit dem mittelalterlichen Rechtsverständnis oder unserem Infotainment.«
    »Für den jeweils Erzählenden und die ihm Zuhörenden stimmt also die Geschichte innerhalb eines geschlossenen Systems«, folgerte Heinrich.
    »Genau. Auf den Täter bezogen heißt das, dass er sich seiner Sache sicher fühlt, denn er legt in seinem System Spuren aus, die vorerst nur er zu deuten vermag. Wir müssten also den Sinngehalt des Systems aufschlüsseln, um über denselben Wissensgehalt zu verfügen wie er. Oder – anders gesagt – wir müssen uns seinen Mythos einverleiben, da wir als Ermittelnde außerhalb seines Wertesystems leben.«
    »Tönt schwierig«, sagte der Detektiv, »und nicht zwingend wünschenswert.«
    »Das stimmt. Es kann auch sehr gefährlich sein, wenn man zum Beispiel an Fundamentalisten und Sektierer denkt. Unser Täter scheint jedoch von einer Idee besessen zu sein. Die beiden Morde lassen diesen Schluss zu.«
    »Du meinst, wir können diese Idee

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