Heinrich Mueller 05 - Mordswein
gestohlen worden«, sagte Wiederkehr.
»Ah ja«, erwiderte Spring, denn es kam ihm vor, dass in diesem Fall auffällig viel gestohlen wurde. Dann blickte er auf den Schätzpreise und erschrak: »Oh! 90.000 Franken.«
»Ersteigert für 170.000«, erklärte der Parteichef, »ein Prunkstück in meiner Sammlung. Ich habe ein Dutzend Werke von Schweizer Künstlern des 19. Jahrhunderts gekauft und am Freitag im Auktionshaus abgeholt. Heute Morgen habe ich sie ausgepackt. Dieses hier fehlt!«
»Es wäre nicht möglich, dass es im Haus Dobiaschofsky zurückgeblieben ist?«, erkundigte sich Spring.
»Nein. Ich war dabei, als mir die Ware ausgehändigt und einzeln eingepackt wurde. Zu Hause habe ich die Bilder nochmals kontrolliert. Es fehlt nur dieses eine.«
»Also eine gezielte Entführung der Emma Blank?«
»Muss nicht sein. Es waren ja, wie gesagt, alle Bilder noch verhüllt. Möglicherweise hat jemand einfach das kleinste mitgenommen. Es passt in jede Dokumenten-oder Laptop-Mappe.«
»Ein hoher Quadratzentimeter-Preis also. Keine Lösegeldforderung?«, fragte Spring.
»Nichts. Keinerlei Hinweis. Keine Einbruchspuren.«
»Soll ich die Spurensicherung vorbeischicken?«
»Bringt nichts«, erklärte Wiederkehr. »Am Samstag gab’s ein großes Fest bei uns, 30 bis 40 Personen. Jede könnte das Bild mitgenommen haben.«
»Eine Liste der Anwesenden haben Sie nicht zufällig dabei?«
»Habe ich.« Der Mann reagierte unwirsch. »Ich gebe Sie Ihnen unter Verschluss. Es sind alles Parteimitglieder und ihre Partner. Wirbeln Sie nicht zu viel Staub auf und benutzen Sie die Liste erst, wenn Ihnen nichts anderes mehr einfällt.« Damit verabschiedete sich das Überfallkommando und marschierte breitbeinig aus dem Waisenhaus.
»Da stehen wir mit unseren schönen Morden und können nichts damit anfangen«, sagte Heinrich Müller, als er die erste Flasche öffnete.
»Langsam, ich habe heute Nachmittag noch Arbeit«, erklärte Spring.
»Den Expérience von Steiner Schernelz wirst du dir doch nicht entgehen lassen, einen Chasselas, der mit einer Hefekultur, welche die Eidgenössische Forschungsanstalt Wädenswil aus einem Wein aus dem Jahr 1895 wiederbelebt hat, ohne Säureabbau erzeugt worden ist.«
Spring griff zum Glas: »Feine Säure, nerviger Wein. Hast du ein geräuchertes Forellenfilet dazu?«
»Dein Wunsch sei mir Befehl«, sagte der Detektiv und machte sich auf zum Kühlschrank.
»Ein bisschen temperieren. Wir sollten noch den Sauvignon Blanc testen. Etwas schwerer und vollmündiger als letztes Jahr, aber auch mit kräftiger Säure.«
»Ein Metalldrehverschluss?«, fragte Spring. »Das ist neu. Ob der Wein die Säure in dieser Flasche überhaupt abbauen kann?«
»Werden wir in ein bis zwei Jahren sehen. Nimm ein Stück jungen Chilei Alpkäse, dazu passt der kernige Pinot Noir 2009.«
»Bist du unter die Weinhändler gegangen …«, wollte Spring wissen.
»Ehret einheimisches Schaffen.«
»… und der SEBP beigetreten?«
»Ich weiß nicht, ob du hier noch einmal genussverköstigt wirst«, scherzte der Detektiv. Dann hörte er zu, was der Störfahnder vom morgendlichen Geschehen zu berichten hatte.
»Na ja, der Wiederkehr«, sagte Heinrich. »Immer mehr Museen und Bibliotheken und private Sammlungen vermüllen immer mehr Lebensraum. Jeder Bauer erklärt seinen verrosteten Maschinenpark zum Kulturgut.«
»Andere lassen Autos im Wald verrotten und behaupten, dies sei ein ›Friedhof‹ von historischem Wert. Offizielle Abfalldeponien jedoch werden mit großem finanziellen Aufwand saniert. Könnte man einfach ein Schild davor stellen: Kulturgut!«
»Jedem Dorf sein Museum, jeder Talschaft ihren Kulturpark, jeder Familie ihr Archiv: Ahnengalerien Verstorbener, die unser Leben durch ihren Abfall immer noch einengen; Künstler, die öffentlichen Raum zubetonieren; Autoren, die ganze Wälder verschwinden lassen … Bald nehmen Erinnerungen, antiquarische Gegenstände, nicht gelesene Bücher, verstaubte Objekte mehr Raum ein als das zum Leben Notwendige.«
»Du vergisst«, fuhr Spring in seiner Tirade weiter, »dass Archäologen und Ethnologen vom Müll der Zivilisationen leben. Möglicherweise ist genau das alles für unser Leben entscheidend: Gegenstände, die unser Wissen enthalten und zur Erinnerung werden.«
»Jede Nation«, sagte Müller, »die ein kulturelles Gedächtnis besitzt, ist eine glückliche Nation.«
»Das vielleicht nicht, aber zur Identitätsbildung trägt es bei, auch wenn der Müll
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