Heinrich Spoerl
will ihr helfen, sagt alle erdenklichen Hotelnamen, wird ernst, böse, tobt. Wie kann man sein Hotel vergessen!
Der Bürgermeister verabschiedet sich. »Ihre beiderseitige Vergeßlichkeit ist bemerkenswert. Guten Morgen.«
Als der dicke, jetzt gar nicht mehr freundliche Herr gegangen war, zogen sich die Ehegatten nach rechts und links in ihre Gemächer zurück. Anton blieb allein auf dem Plan und wälzte sich übermütig auf dem Teppich. Er verstand von alledem nichts. Als Kempenich am nächsten Morgen in sein Büro kam, fand er eine merkwürdige Stimmung vor. Sein joviales: »Guten Morgen, meine Herren!« wurde von seinen Leuten nur muffig erwidert. Sie sahen kaum von der Arbeit auf, und niemand sprang hinzu, ihm Mantel und Hut abzunehmen. Sie taten, als wenn sie klaftertief in der Arbeit steckten, und beobachteten ihn unausgesetzt um die Ecke.
Auf seinem Arbeitstisch liegt ein amtlicher Brief für ihn. Er reißt den Umschlag auf und fühlt, wie er blaß wird.
Mit Rücksicht auf das gegen Sie anhängige Strafverfahren werden Sie bis auf weiteres von Ihren Amtsgeschäften entbunden. Der Bürgermeister.
Kempenich fühlt höhnische Augen, die auf ihm ruhen. Er darf sich nichts merken lassen. Er steckt das Schriftstück ein und sagt mit künstlicher Tenorstimme: »Sieh mal einer an, da ist ja endlich mein Urlaub bewilligt. Hat lange genug gedauert, scheint dem Alten schwer abgegangen zu sein. Guten Morgen, meine Herren. Und recht viel Vergnügen bei der Arbeit.«
Auf dem Heimwege glaubt er zu bemerken, daß seine Bekannten ihm ausweichen oder wegblicken. Hat es sich schon herumgesprochen? Er flüchtet sich in eine verkrampfte Pose, vor den andern und vor sich selbst. Er legt die Hände wie ein Rentner auf den Rücken, schiebt den Strohhut lustig in den Nacken und schaut in die blaue Luft. Die Leute grüßt er mit einer ausgesuchten Höflichkeit, aber sie kommt etwas von oben, als müßten sie froh sein, daß er sie seines Grußes würdigt. Die Kinder spricht er leutselig an, fragt sie nach Geschwistern, krault die Mädelchen unterm Kinn und die Buben in den Haaren und tut wie ein Landesvater, der sich unter sein Volk begibt.
Zu Hause angekommen, läßt er sich von der Maria seinen guten Schlafrock bringen, steckt sich seine längste Pfeife an und setzt sich auf die Terrasse in den großen Schaukelstuhl. Da alle wissen, daß er nicht arbeitet, sollen es auch alle sehen. Er ist ein Märtyrer, schaut hochmütig auf die Straße, auf die Menschen, auf die Fähre und versucht zu lächeln. Seine Schnurrbartspitzen zittern.
Frau Hedwig wußte nicht, was sie von der vorzeitigen Rückkehr ihres Mannes halten sollte. Sie flatterte wie eine aufgescheuchte Taube durchs Haus, brachte es aber nicht übers Herz, ihren Mann anzusprechen. Maria, das Mädchen für alles, wurde mit der Erkundung beauftragt. Sie tat es auf ihre Art, stellte sich breit vor Kempenich auf und ließ die erste ihr aufgetragene Frage vom Stapel: »Ob Sie vielleicht krank wären?«
»Nein.«
Sie ging und stand nach einer Minute wieder vor ihm: »Ob Sie vielleicht sonst was wünschten?«
»Nein.«
Nach einer weiteren Minute. »Warum Sie nicht arbeiten täten?«
»Ich habe mir Urlaub genommen.«
Hedwig war beruhigt. Jedenfalls bewies ihr Mann damit Charakter, und das imponiert den Frauen.
In Wahrheit war dem armen Kempenich gar nicht nach Charakter zumute. Solange er täglich seine gewohnte Arbeit hatte, konnte er die einsamen Stunden zu Hause ertragen. Jetzt hatte er morgens beim Aufstehen schon Feierabend und wußte nichts mit sich anzufangen und kam sich unsäglich überflüssig vor.
Faulheit gehört zu den erlesensten Genüssen des menschlichen Lebens. Vorausgesetzt, daß man sie sich stiehlt, daß es jene gottverbotene stinkende Faulheit ist, die den Menschen gerade dann überkommt, wenn er sich vor dem Übermaß der Arbeit nicht mehr retten kann und sich in atavistischem Faulheitskoller gegen den Zwang aufbäumt und wie ein Goetz seine Unabhängigkeit manifestiert. Aber wie jede Feinkost darf man auch die Faulheit nur in kleinen Teelöffeln genießen und muß sie schlemmerhaft auf der Zunge zergehen lassen. Im Übermaß schmeckt sie widerlich, und wenn sie gar aufgezwungen ist, wird sie zur Qual.
Kempenich hatte es besonders hart. Ausgehen tat er grundsätzlich nicht, überall witterte er höhnische Blicke und heimliches Wispern. Er stak von morgens bis Abends und von Abends bis morgens in seinem Schlaf-Herrenzimmer und stürzte sich in die
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