Heinz Strunk in Afrika
Koffer, wenn der Koffer heute kommt? Das ist sogar sehr wahrscheinlich.»
«Dann wird er in dein Zimmer gebracht und wartet dort auf dich. Und du hast etwas, worauf du dich freuen kannst.»
Der Koffer ist kein Argument, das muss ich leider einsehen. Ich unternehme einen letzten Versuch:
«Du bist doch noch krank. Also jedenfalls nicht vollständig genesen. Lass uns erst ins Medical Care gehen. Der Doktor muss sein Okay geben.»
«Unsinn, ich bin wieder voll auf dem Posten. Der Ausflug wird auch dich ablenken. Die Stadt, die Kugeln, und danach
voll auf die Girls.
»
Das sagt er immer: Voll auf die Girls. Totaler Quatsch. Wir stehen eh immer nur rum.
«Welche Girls?»
«Das werden wir schon sehen. Big Casino und Disco with Girls.»
Ich gebe mich endgültig geschlagen.
Vor dem Hotel warten vier Taxen. C. sagt, er habe sich bereits im Vorfeld nach den Tarifen erkundigt, eine Fahrt ins Zentrum koste je nach Verhandlungsgeschick 1500 bis 2000 Schilling. Wir werfen einen Blick in Taxi Nr. 1. Der Fahrer ist mindestens siebzig und sieht aus wie der Hauptdarsteller aus einem ADAC -Schulungsfilm, mit dem alte Menschen zur freiwilligen Abgabe ihres Führerscheins bewegt werden sollen. Der Tacho hat bei 2,7 Millionen Kilometern seinen Dienst quittiert, dafür ist der Wagen mit diversen Zauberbäumen hochgerüstet. Im Inneren riecht es nach Mitnahmegerichten mit viel Knoblauch, vermischt mit dem Geruch von Zauberbäumen. Das halte ich nicht aus. Inspektion Wagen Nr. 2. Auch nicht gerade taufrisch, ein uralter Mercedes 190 D. Dafür macht der Fahrer einen guten Eindruck. Freundliche, verbindliche Ausstrahlung, konzentriert, einer, dem man ansieht, dass er etwas vom Autofahren versteht. Unser Mann. Kaum sind wir eingestiegen, überreicht er uns seine Karte:
Titus M. Kidelo, Operations Manager. Specialist in Tour Operations and Car Hire.
Wir könnten Tag und Nacht anrufen, er komme überallhin. Beruhigend.
Mir wird bewusst, dass ich das Resort noch nicht ein einziges Mal verlassen habe, sieht man von den Gängen an den Strand ab. Spannend. Das Wachpersonal äugt misstrauisch in den Wagen. Wir haben nichts zu verbergen und biegen rechts ab in die
Moi Avenue
. Ein etwa zehnjähriger Junge kommt uns freundlich winkend entgegengerannt. Winkend rennt er neben dem Wagen her, bis Titus Fahrt aufnimmt und er nicht mehr mitkommt. Ich halte den Kopf aus dem Fenster und winke zurück. Ein Spitzname, ein Spitzname muss her. Mir fällt aber keiner ein. Komisch. Mir fallen doch immer Spitznamen ein. Naja, vielleicht später. Bis dahin ist er der Junge ohne Namen. Wahrscheinlich sehe ich ihn eh nie wieder.
Die unbefestigte, von unzähligen Schlaglöchern durchlöcherte Straße nach Mombasa ist gesäumt von fliegenden Händlern, kleinen, provisorischen Märkten, Baracken, offenen Feuern, Müll, Zelten, aus Pappkartons und Sackleinen zusammengeschusterten Hütten. Eine bedrückende Zeile grauer, abgeschabter Hochhäuser zieht an uns vorbei. Tausenderlei Eindrücke, Fetzen, Bruchstücke prasseln auf mich ein. Wovon leben die hier, wo waschen die sich, gibt es so was wie eine Infrastruktur, Kindergärten, Schulen? Rätsel Afrika. Überall hängen Plakate mit den Konterfeis des amtierenden Präsidenten Kibaki und seines direkten Konkurrenten, Oppositionsführer Odinga. Keiner der beiden Politiker macht einen sonderlich gewinnenden Eindruck, die Züge Odingas weisen eine gewisse Ähnlichkeit mit denen des als
Schlächter von Afrika
bekannt gewordenen ugandischen Diktators Idi Amin auf. C. berichtet, dass man mit massiver Wahlfälschung rechne, da Kibaki unter allen Umständen an der Macht bleiben wolle. Wie man das so genau wissen könne, frage ich. Keine Ahnung, antwortet er, man wisse es halt. Wann die Wahlen denn überhaupt stattfänden? Am 26. 12., dem zweiten Weihnachtsfeiertag. Er sei noch mit niemandem gereist, der sich so wenig für das Schicksal von Land und Leuten interessiere wie ich. Im Gegenzug kläre ich C. darüber auf, dass die 1983 aufgelegte 190er-Baureihe die erste mit sog. Raumlenker-Hinterachse gewesen sei. Eine Provokation, entgegnet er, und noch nicht einmal eine sonderlich originelle, ihn mit derart langweiligen Informationen zu belästigen. Wenn ich der öden Rubrik
Unnützes Wissen
etwas beizusteuern hätte, solle ich mich doch bei der
Neon
bewerben.
Nach einer halben Stunde bleiben wir an der allerallerersten Ampel der gesamten Strecke stehen. Links geht’s nach Mombasa City.
City
ist gut, denn so etwas
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