Heinz Strunk in Afrika
umschlungen.» RRRÖÖÖNNGG . Zehn Meter. Neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, Vollbremsung, sie kommen eine Handbreit vor uns zum Stehen. Zwei Schlakse, vielleicht zwanzig, grinsen uns an.
«Hallo. Where are you guys from?»
«He is from Hamburg, Germany, and I come from Austria.»
«Hamburg? It’s nice!»
«Yes.»
«You’re looking for a taxi, right? We could drive you back into town.»
C. zuckt mit den Schultern und nickt.
Zuletzt Moped gefahren bin ich 1977, als wir Karsten Pohls Flory Dreigang verheizt haben. Haha, war das ein Spaß! Ausgerechnet Karsten besaß als Einziger diesen Mercedes unter den Mofas. Flory! Von Kreidler! Mit Fußschaltung! Und Kickstarter! Karsten hatte einen leichten Dachschaden, weil er bei der Geburt zu wenig Sauerstoff abbekommen hatte oder so. Seinen Eltern gehörten drei Edeka-Frischemärkte, und sie haben ihrem einzigen Sohn zum Ausgleich für seine Behinderung immer den neuesten und teuersten Schnickschnack gekauft. Aber ein Mofa mit Dreigangschaltgetriebe? Wie sollte ausgerechnet einer, der kaum ein Fahrrad geradeaus lenken konnte, diese kompliziert zu bedienende Rennmaschine beherrschen? Holzklötze wären das passende Geschenk gewesen, mit abgerundeten Ecken, wg. Verletzungsgefahr. Karsten, das war sonnenklar, würde den Boliden innerhalb kürzester Zeit ruinieren. Um ihm die Arbeit zu erleichtern, haben wir ihm das Mofa regelmäßig abgenommen und sind damit so lange im ersten Gang und mit Vollgas um den Pudding gefahren, bis es einen Kolbenfresser hatte. Nach drei Tagen war es vollbracht, und Karsten musste den Schrotthaufen nach Hause schieben. Er hat uns natürlich angeschwärzt, aber seine Eltern glaubten ihm kein Wort. Das war’s dann erst mal mit teuren Geschenken. Heute arbeitet er als Hiwi in einem ihrer Märkte, wo er Paletten stapelt, Einkaufswagen zusammenschiebt und verfaultes Obst aussortiert.
Naja, Schnee von gestern.
Die beiden Hasardeure rasen wie die Weltmeister. Ich halte mich an meinem Fahrer fest, es fühlt sich gut an, knochig, sehnig, muskulös, sexy. Je länger die Fahrt dauert, desto besser fühle ich mich, sicher und gut, wie irgendwann damals, früher, zu Kindertagen, als es noch genügte, einfach nur
da
zu sein. C. hat sich ebenfalls eng an seinen Fahrer geschmiegt und genießt die Fahrt auch in vollen Zügen.
Erstaunlich, in was für Abenteuer man verwickelt wird! Gestern hockt man depressiv am Pool, und heute wird man von topgeilen Szenetypen durch die Gegend karjohlt! Ich fühle mich leicht und befreit, von mir aus könnten wir bis nach Nairobi fahren. Damit hätte ich nicht gerechnet, unter keinen Umständen, niemals. Mir wird bewusst, dass ich auf dieser Reise bisher noch keinen einzigen unbeschwerten Moment erlebt habe, keine Sekunde des Glücks. Und jetzt durchströmt es mich mit einer Intensität, als solle das Ungemach der vergangenen Tage, Wochen und Monate weggewischt werden. Leider, da bin ich mir sicher, wird dieses Gefühl nur exakt so lange halten, bis wir unser Ziel erreicht haben.
Unsere Chauffeure halten vor einer Art provisorischer Open-Air-Disco, einem überdimensionalen Carport, Wellblech auf Stelzen, Schuppen ohne Wände, Zelt ohne Plane, ach, ich weiß auch nicht, wie man solche Gebäude nennt.
«Herr Strunk, Herr Strunk, das darf doch schon wieder alles nicht wahr sein!»
«Schnauze.»
Als ich absteige, zittern meine Beine. Was hier los ist! Wir sind mitten in eine Big Party geraten, ein spontanes Volksfest, Discopower, Flashmob, Body Language. Let’s get physical, und das noch vor achtzehn Uhr! Die Leute sind hier einfach anders drauf, denke ich. Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heitren Stunden nur. C. scheint’s auch zu gefallen. Da hat er seine Disco with Girls, denke ich. Unsere Fahrer verabschieden sich per Handschlag und verschwinden im Getümmel.
Es ist, als hätten uns wundersame Zufälle an einen geheimen Ort gespült, einen
magic place
, den sonst nie ein Tourist zu sehen bekommt. Hier ist der Kenianer privat, hier verkehrt er mit seinesgleichen. Und wir werden als stumme Zaungäste geduldet. Ausgerechnet wir, stockschwule Sextouristen auf der Suche nach Zerstreuung. C. besorgt zwei Cola Rum. Cola Rum, ich fass es nicht, dass die das hier haben, hab ich auch schon ewig nicht mehr getrunken. Die Reise der vergessenen Drinks. Das Leben besteht aus der Summe der vergessenen Drinks. C. prostet mir zu. Man kann sich gar nicht oft genug zuprosten, Zuprosten ist ein Verstärker. Der Mensch
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