Heirate keinen Arzt
wischte. »Ich hab’ mich bloß an einer Rosine verschluckt. Wer hat dir nur solche Lügen aufgebunden, und mit wem soll ich in den heiligen Ehestand treten?«
»Ihren Namen weiß ich nicht, sondern nur, daß sie irgendeine mollige Witwe aus deiner Straße ist.« Gelassen strich sich Faraday Konfitüre aufs Brot. »Wie ist es also? ’raus mit der Wahrheit!«
»Es ist nichts als gemeine Verleumdung«, sagte ich, »und ich möchte gern wissen, wer solche Gerüchte verbreitet, damit ich ihm den Flals umdrehen kann!«
»Zu spät«, erklärte Faraday. »Es war nämlich eine alte Dame, die du uns mit einem Darmkrebs hergeschickt hast, und die ist letzte Woche gestorben. Ich erwähnte zufällig, daß ich dich kenne, und da konnte die Gute nicht dichthalten.«
Mir fiel Mrs. Hathaway ein, die zwei Häuser weiter unten als Mrs. Hume wohnte. Ihr Mädchen hatte wahrscheinlich mit Mrs. Humes Haushaltshilfe geklatscht.
»Es gibt gar nichts dichtzuhalten«, widersprach ich. »Die ganze Sache ist eine reine Erfindung.«
Faraday verzehrte gemächlich sein Brot und blinzelte mir zu.
»Du solltest vorsichtiger sein«, meinte er. »In dieser Aufmachung mußt du ja unwiderstehlich wirken.«
Nach dem Tee bemächtigten wir uns der beiden Lehnsessel und begannen, nachdem wir sie dicht ans Feuer gezogen, Krankengeschichten auszutauschen. Anderthalb Stunden lang unterhielten wir uns, und fast jeder unserer Sätze begann mit »Ein Patient (oder eine Patientin) von mir...«. Es war erstaunlich, wie eine Erörterung meiner Fälle mit einem Kollegen helleres Licht auf mir bisher dunkle Punkte zu werfen vermochte. Es machte mir Vergnügen, Faraday nach Noten auszufragen, und ihm machte es Vergnügen, Näheres über die Allgemeinpraxis zu hören. Er erzählte mir, daß das Spital ihm ein winziges Laboratorium, sozusagen einen besseren Wandschrank, für seine Untersuchungen zur Verfügung gestellt habe, und daß er hoffe, im neuen Jahr gehörig voranzukommen.
»Hier mache ich kurz vor Weihnachten Schluß«, sagte er. »Du hast wohl nicht ein Bett zuviel in deinem Etablissement?«
»Mehrere. Warum?«
»Meine Eltern sind augenblicklich auf einer Tour durch die Vereinigten Staaten, und da dachte ich, vielleicht hättest du gern, daß ich ein bißchen anrückte und dir Gesellschaft leistete. Ich könnte auch ab und zu deine Sprechstunde übernehmen, damit du dich ungestört deiner molligen Witwe widmen könntest.«
»Du kannst gern kommen und bei mir bleiben«, antwortete ich, »aber nur unter der Bedingung, daß du die Klappe über die sogenannte Witwe hältst. Sie ist außerdem keine Witwe, sondern eine geschiedene Frau.«
»Gut«, nickte Faraday. »Einen zarten Wink verstehe ich allemal! Also denn. Was wollen wir an den öden Feiertagen unternehmen?«
»Wie meinst du das — unternehmen?«
»Wo wollen wir hin?«
»Ich kann nirgends hin, teurer Freund. Ich habe eine Praxis, um die ich mich kümmern muß.«
»In diesem Falle müssen wir bei dir einen Abend aufziehen. Ich trage zwei Flaschen Whisky und ein süßes Mädchen aus der Physiotherapie dazu bei. Für alles übrige mußt du sorgen.«
»Na schön«, sagte ich. »Das ist tatsächlich eine gute Idee von dir. Ich war schon bei einer Menge von Leuten in der Gegend eingeladen und habe mich bis jetzt noch bei niemandem revanchiert.«
»Du hast doch sicher irgendwen, der sich mit der Esserei befassen kann? Die flüssigen Erfrischungen werden wir schon meistern.«
»Das«, entgegnete ich und dachte an Mrs. Little, »ist allerdings ein bißchen schwierig.«
Faraday zog mit der Hand sein Kinn herab.
»So ungern ich darauf zurückkomme: Aber könnte nicht vielleicht die besagte Witwe ein bißchen mithelfen?«
»Das würde sie wahrscheinlich schon tun«, bejahte ich ein wenig zu voreilig, worauf Faraday ein rätselhaftes »Ahaa!« hören ließ.
»Da fällt mir ein«, sagte ich, um Eindruck bei Faraday zu schinden, »daß ich vielleicht sogar Sir Monmouth Higgins bitten könnte. Ich bin nächste Woche zum Nachtessen bei ihm eingeladen.«
Ich wartete auf Faradays hochachtungsvollen und ehrfürchtigen Kommentar. Statt dessen brach er in schallendes Gelächter aus.
»Na, der muß aber wirklich nicht mehr ein und aus wissen«, stieß er heraus, »wenn er sich dazu versteht, dich einzuladen. Er hat es schon mit sämtlichen Junggesellen in ganz London versucht, die in Frage kamen. Sogar meine Wenigkeit hat er sich herabgelassen einzuladen, obwohl er ja weiß, daß von dem, was ich
Weitere Kostenlose Bücher