Heiraten für Turnschuhträgerinnen
aufzuhören«, verteidigt sie sich.
»Du nimmst dir das seit zwanzig Jahren vor, meine Liebe. Inzwischen ist schon Anfang Februar, und von Aufhören kann ich bislang nichts bemerken! Na ja.« Er wendet sich wieder an uns. »Hatten Sie nicht noch Wein am Tisch?«
Ehe wir antworten können, steckt eine der Kellnerinnen den Kopf durch die Tür.
»Felicitas, würden Sie unseren Gästen bitte ihren Wein bringen?«
Wir plaudern. Wir plaudern wirklich nett, viel netter, als ich es für möglich gehalten hätte. Ich habe keine Ahnung, aus welchem Grund dieser Herr von Bismarck eine solche Sympathie für uns aufbringt. Erst die Raucherlaubnis, dann die Order mit dem Wein, jetzt bestellt er auch noch eine Flasche von einem besonders raren Bordeaux, natürlich auf seine Rechnung. Er ist mindestens doppelt so alt wie wir, er hat mindestens sechzehntausendmal so viel Geld wie wir, und seine Schuhe sind so sauber poliert, wie sie es bei mir nicht einmal mehr sind, wenn ich sie zu Hause aus der Einkaufstüte ziehe. Unwahrscheinlich, dass er glaubt, wir könnten es uns leisten, nach einer Charmeattacke neue Stammgäste zu werden. Oder? Eine Weile denke ich darüber nach, ob er uns für Gastrokritiker hält, die Gourmettempel einem neu entwickelten Härtetest unterziehen, à la: Bis zu welchem Punkt ist der Gast hier König? Ganz unmöglich ist das nicht, vielleicht hat man mich an der Rezeption gegoogelt und ist dabei auf meinen großen Biergarten-Test gestoßen, der vor ein paar Jahren in einer Berliner Tageszeitung erschien. Ist ja auch irgendwie Gastrokritik, oder? Aber als Herr von Bismarck sich völlig unbedarft und absolut liebenswürdig nach dem Grund unseres Aufenthalts erkundigt, verwerfe ich diesen Gedanken wieder.
»Wir haben morgen früh einen Termin auf Schloss Beetzow«, sagt Georg.
»Wir heiraten nämlich«, füge ich hinzu, aus Stolz vor allem, aber auch in der Hoffnung, dass uns das mit diesem Gutsbesitzerpärchen ein Millimeterchen mehr auf Augenhöhe bringt.
»Schloss Beetzow«, wiederholt Herr von Bismarck langsam und lässt vorsichtig den Wein in seinem Glas kreisen. »Schloss Beetzow. Warum feiern Sie denn nicht hier? «
Ich zucke zusammen. Allein das Glas Winzersekt, das wir statt des angebotenen Champagners zum Aperitif genommen haben, hat elf Euro gekostet.
»Na ja«, sagt Georg und hüstelt lächelnd. »Ich fürchte, dieses Haus ist leider nicht so ganz unsere Kategorie.«
»Ach was. Wir können prima Menüs für achtzig, neunzig Euro anbieten, und unsere Getränkepauschalen sind …«
»Schnuffel«, unterbricht ihn seine Frau, die offensichtlich besser kapiert, was wir mit »unsere Kategorie« gemeint haben, und Mitleid hat. Ihr Mann verstummt sofort, dabei hat sie nicht mehr gesagt als: Schnuffel.
»Was mein Mann eigentlich sagen wollte«, sagt sie nun. »Schloss Beetzow würden wir Ihnen nur mit Magenschmerzen empfehlen.«
»Warum?«, frage ich.
»Nun ja, es liegt uns wirklich fern, uns nachteilig über unsere Nachbarn zu äußern …«
»Aber?«
»Aber … Unsere Tochter hat dort vor vier Jahren ihre Hochzeit gefeiert. Sie wollte unbedingt ein Schloss, und weil Beetzow ja ganz in der Nähe ist … Na ja, auf alle Fälle …« Sie zögert.
»Auf alle Fälle was?«, frage ich, ziemlich aufgewühlt. Schloss Beetzow ist doch unsere letzte Hoffnung!
»Die Besitzerin hatte wohl keine Ahnung, mit wem sie es zu tun hatte.«
»Das Essen war das Letzte. Und der Wein erst!«, mischt sich ihr Mann erbost wieder ein. »Sie hat behauptet, Robert-Weil-Riesling auszuschenken, wir haben gleich gemerkt, dass was nicht stimmte. Wieso bringt sie den Wein in Karaffen? Am Ende kam heraus, in den Karaffen war irgendein Pennerglück, das Tetra-Pack zu je zwei Euro.«
»Oh!«, entfährt es uns einstimmig.
»Ja, der Wein war wirklich nicht besonders«, sagt seine Frau, »und für den dann auch noch den fünfzehnfachen Preis zu kassieren …«
»Aber das Schlimmste war: keine laute Musik nach zwölf! Sie hat die Polizei geholt! Bei einer Hochzeit auf dem Lande!«
Herr von Bismarck sieht aus, als würde er gleich in den Tisch beißen vor Wut. Georg und ich sehen uns an. Was sollen wir tun? Den Termin absagen? Einfach nicht hingehen? Aber was dann?
»Inzwischen führt unsere Tochter ein eigenes Haus.«
»Ach ja?«
»Gut Klein Schönhagen, hier ganz in der Nähe. Fahren Sie doch dort mal hin! Ein wunderschön renovierter Gutshof aus dem 19. Jahrhundert. Altes Fachwerk, riesige, denkmalgeschützte Scheune,
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