Heiraten für Turnschuhträgerinnen
Sie liebt Ballerinas. Die Frau ist Mitte fünfzig!
Nach dem Telefonieren machten wir eine Flasche Fürst von Metternich auf, die irgendein skrupelloser Partygast mal bei uns entsorgt hatte, und stießen an. Der Sekt hatte oben auf dem Kühlschrank gestanden und schmeckte lauwarm endgültig beschissen, was die Sache aber irgendwie noch romantischer machte. Wir entwarfen eine vorläufige Gästeliste und kamen auf 210 Leute. Wir strichen unsere alten Schulfreunde, mit denen wir ja ohnehin nicht mehr viel zu tun hatten – 180. Wir öffneten eine Flasche Mirabellenbrand und strichen Georgs Kollegen – 160, immer noch zu viel. Wir überlegten, auch die Verwandtschaft wegzulassen – ich dachte dabei vor allem an den polnischen Teil der Familie und dessen Eigenschaft, so viel Wodka zu trinken, bis jedes Gespräch unmöglich ist. Als schließlich Georgs Fußballmannschaft von der Liste verschwand, waren wir bei 122 und so betrunken, dass wir unser Vorhaben vergaßen und ins Bett fielen. Wir waren aufgeregter und zugleich ruhiger als je zuvor, glücklich und zugleich seltsam wirr, und dann schliefen wir irgendwann ein – friedlich und in dem dummen Irrglauben, dass die Hauptsache hiermit erledigt wäre.
Am Morgen nach unserer großen Verkündung will ich Georg überhaupt nicht mehr loslassen, so glücklich bin ich.
»Ach komm, Schatz, bleib noch ein bisschen!«
»Ich kann nicht!«
»Bitte!«
»Was soll ich denn dem Chef sagen, Lotti? Herr Ulrichs, ich bin zwar jetzt Ressortleiter, aber wissen Sie, meine Verlobte wollte noch ein bisschen schmusen, und wenn sie noch ein bisschen mit mir schmusen will, dann vergesse ich alles, das Büro, den nächsten Leitartikel, Guido Westerwelles Amtsbilanz?«
Seinem Blick entnehme ich, dass er das tatsächlich gerne sagen würde, und dass er sich mit ganzer Kraft dazu zwingen muss, sich aus meinen Armen zu winden. Er torkelt ins Bad, durch die offene Schlafzimmertür kann ich ihn laut aufstöhnen hören, als er nach ein paar Minuten heißen Duschens den Hahn umdreht und ihn ein eiskalter Wasserstrahl trifft. Ich höre, wie er sich die Zähne putzt und die Haare föhnt, und die gespannte Stille, als er versucht, im Stehen frische Socken anzuziehen. Danach kommt er zurück ins Schlafzimmer gestolpert und schimpft leise, als er kein gebügeltes Hemd findet. Aber er verschwindet natürlich nicht, ohne sich noch einmal zu mir an die Bettkante zu setzen und mich auf die Stirn zu küssen.
»Na, bleibste heut den ganzen Tag im Bett?«, grinst er und streichelt mir eine Strähne aus dem Gesicht.
»Nur noch einen kleinen Augenblick.«
Normalerweise stehe ich immer gleich auf. Aber das hier heute, das will ich fühlen. Seit die Sache offiziell ist, ist die Aussicht auf unsere Hochzeit noch mal so schön. Und das Gefühl der Liebe … hach.
»Adieu, mein Engel!«
»Bis heute Abend, Liebster!«
Ich höre, wie die Wohnungstür zuschlägt und Georg die knarrende Treppe runterfegt. Ich höre, wie die Haustür ins Schloss fällt. Ich höre, wie das Leben draußen ihn verschlingt.
Ich höre mein Herz leise pochen vor Glück.
Ich bleibe im Bett liegen, ohne irgendetwas zu tun, ohne Buch, ohne Zeitschrift, ohne Toast mit Feigenkonfitüre. Mein Handy auf dem Nachttisch piepst, aber ich kümmere mich nicht darum. Ich wälze mich nach links, ich wälze mich nach rechts. Ich wälze mich im Glück. Lasse jede einzelne Minute des gestrigen Abends noch einmal in Zeitlupe an mir vorüberziehen. War das herrlich! Es gab Applaus. Es gab Standing Ovations. Menschen sind uns in die Arme gefallen vor Freude. Haben uns einzeln gedrückt, haben uns beide gleichzeitig gedrückt, haben den gerade Drückenden gedrückt. Ich fühle mich immer noch ganz zerknautscht.
Lala hat gar nicht mehr aufgehört zu jauchzen!
Lala. Ich schaue jetzt doch auf mein Handy, und tatsächlich, da ist eine SMS von ihr:
Ooooh, Lotte, ich freu mich so! Das wird super! Und wenn ich irgendwie helfen kann, melde dich!
Ich muss lächeln. Lala hat sich über unsere Verlobung am meisten gefreut, und erst recht, nachdem ich sie bat, unsere Trauzeugin zu werden, gemeinsam mit Georgs bestem Freund Christian. Sie träumt von einer Märchenhochzeit, seit wir uns kennen, also seit über zehn Jahren. Sie war der erste Mensch, mit dem ich mich angefreundet habe, als ich zum Studium von München nach Berlin gekommen bin. Wir haben uns kennengelernt, als wir uns bei H&M in der Friedrichstraße um ein pinkfarbenes T-Shirt gestritten haben, auf
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