Heiratsmarkt
Leuten in weniger glücklichen Verhältnissen verraten hätten, dass das Haus zu einem der vielen gehörte, die für die Season vermietet und so sparsam wie möglich ausgestattet wurden.
Im Zimmer war nur eine Dame anwesend, die an einem kleinen, im rechten Winkel zum Fenster stehenden Schreibtisch saß und schrieb. Sie wandte sich rasch um und richtete einen überraschten und zugleich abschätzenden Blick auf Alverstoke. Er sah, dass sie sehr jung, vermutlich dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahre alt war.
Das Gesicht zeichnete sich durch sehr freimütige graue Augen, ein etwas herrisches Näschen, einen sehr festen Mund und ein energisches Kinn aus. Ihr Haar, von einem lichten Braun, war adrett á la Dido aufgesteckt. Das Kleid, über dem sie ein gestreiftes Morgenjäckchen trug, war aus feinem Batist, hochgeschlossen und am Saum mit einem Doppelvolant verziert. Alverstoke, dem die Feinheiten des weiblichen Anzugs wohlvertraut waren, sah mit einem Blick, dass diese Toilette zwar modisch, aber weder glänzend noch teuer war. Man hätte sie nicht als den letzten Schrei bezeichnet; dennoch würde niemand die Dame als unelegant abgestempelt haben. Sie trug ihr einfaches Gewand mit vornehmer Würde und war wie aus dem Ei gepellt.
Auch benahm sie sich völlig selbstsicher, weshalb sich Alverstoke fragte, ob sie nicht doch älter war, als er zunächst angenommen hatte. Da junge, unverheiratete Damen im Allgemeinen keine männlichen Besucher empfingen, wäre es natürlich gewesen, wenn sie beim Eintritt eines fremden Herrn geziemend verwirrt gewesen wäre. Sie schien sich jedoch weder dadurch noch durch Alverstokes kühle Prüfung aus der Fassung bringen zu lassen. Sie war weit davon entfernt, zu erröten, die Augen niederzuschlagen oder das geringste Zeichen von Unsicherheit merken zu lassen, sondern betrachtete ihn nachdenklich und - wie er amüsiert feststellte - äußerst kritisch.
Er ging in seiner eleganten, gemächlichen Art auf sie zu. „Habe ich die Ehre, mit Miss Merriville zu sprechen?", fragte er.
Sie stand auf und kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. „Ja, ich bin Miss Merriville. How do you do? Bitte entschuldigen Sie - ich habe Ihren Besuch nicht erwartet."
„Dann muss ich um Entschuldigung bitten. Ich hatte den Eindruck, dass Sie meinen Besuch wünschten."
„Ja, aber ich habe die Hoffnung einfach aufgegeben, dass Sie kommen würden. Was mich nicht überrascht hätte, weil Sie es bestimmt als eine lästige Aufdringlichkeit empfunden haben. Außerdem war es vielleicht etwas zu herausfordernd."
„Durchaus nicht", murmelte er in seiner lässigsten Art.
„Nun, ich fürchte doch. Es ist nämlich so, dass ich mit Londoner Sitten nicht ganz vertraut bin, weil ich mein ganzes Leben in Herefordshire verbracht habe." Ein gewinnendes Zwinkern ließ ihre Augen funkeln; sie fügte vertraulich hinzu: „Sie haben keine Ahnung, wie schwer es ist, dem Anstand zu entsprechen, wenn man - sozusagen - jahrelang Herrin des Hauses war!"
„Im Gegenteil", erwiderte er prompt, „ich weiß das nur zu gut."
Sie lachte. „Nein, wirklich? Dann wird es vielleicht nicht so schwierig sein, Ihnen zu erklären, warum ich ... warum ich mir die Gunst Ihres Besuches erbat!"
„Welch bewunderungswürdiger Satz", bemerkte er. „Haben Sie ihn auswendig gelernt? Ich jedenfalls dachte, dass Ihr ... Ersuchen eher eine Aufforderung war!"
„Ach, Himmel!", sagte Miss Merriville entsetzt. „Und ich habe mich so bemüht, nicht als herrisches Frauenzimmer zu wirken."
„Sind Sie das?"
„Ja, aber was kann ich dafür? Ich muss Ihnen erzählen, wie das kommt ... Wollen Sie sich nicht setzen?"
Er verneigte sich leicht und ging zu einem Sessel an der einen Seite des Kamins. Sie nahm ihm gegenüber Platz. Nachdem sie ihn einen Augenblick ziemlich zweifelnd betrachtet hatte, begann sie: „Ich wollte Ihnen zunächst alles in meinem Brief erklären, aber es wurde ein solcher Wirrwarr daraus -wie mein Bruder Harry sagen würde -, dass ich schließlich dachte, es wäre besser, wenn es mir gelänge, Sie persönlich kennenzulernen und mit Ihnen zu redenl Zunächst hatte ich nicht die leiseste Absicht, mich an einen von Papas Verwandten zu wenden, weil ich meinte, meine Tante Scrabster würde imstande sein, all das fertigzubringen, worauf ich hinauswill. Wie ahnungslos war ich doch, so zu denken und mich derart anschwindeln zu lassen! Sie ist die älteste unter den Geschwistern meiner Mutter und schrieb uns immer nur Prahlereien: was
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