Heiss wie der Sommer
gesprochen hatte, dass er sein altes Haus abreißen und etwas komplett Neues hinsetzen lassen wollte, und dass Logan auch mit irgendwelchen Renovierungsarbeiten beschäftigt war. „Da müsstest du dann mit Holz arbeiten. Vielleicht auch ein paar Rohre oder elektrische Leitungen verlegen.“
Davie sah ihn besorgt an, als würde ihn die Aussicht auf harte körperliche Arbeit doch noch umdenken lassen. „Mit so was kenne ich mich überhaupt nicht aus.“
„Gut, dann können wir uns ja die Hand reichen“, gab Tyler zurück.
Ein Hauch von Erleichterung zeichnete sich in den Gesichtszügen des Jungen ab. „Aber ich hätte nichts dagegen, das zu lernen. Ich fand schon immer, dass es cool sein muss, wenn man selbst ein Bücherregal und solche Sachen bauen kann.“
Tyler zeigte auf das Comicheft, das vergessen auf dem Tisch lag. „Hast du davon eine Sammlung?“
Der Junge schnaubte amüsiert, aber aus dem Laut war auch Verbitterung herauszuhören. „Nein, das ist aus der Bibliothek. Ich gehe meistens wegen der Computer da hin, aber Kristy sagt, ich sollte auch mal was lesen. Außerdem scheucht sie mich nie weg, wenn ich da nur ein bisschen rumhängen will. Darum hab ich mir das ausgeliehen.“
„Ich glaube, Kristy meinte damit wohl eher, dass du etwas in der Art von
Moby Dick
oder
Ivanhoe
lesen solltest“, wandte er ein.
Davie lachte, aber diesmal klang es echt und fast normal. „Nee, nee. Sie hat mir das Heft sogar extra ausgesucht. Das ist nicht bloß ein Comic, das ist ’ne
Graphic Novel
. Kristy meint, dass ich da erst mal ausprobieren kann, wie toll es eigentlich ist, was zu lesen.“
Tyler musste an Kristys Vorgängerin denken, Miss Rooley. Sie war eine alte Jungfer gewesen, sie machte immer eine verkniffene Miene und war gegen alles Mögliche. Zugegeben, sie gewährte ihm Unterschlupf in der Bibliothek, wenn Jake einen besonders schlechten Tag hatte und weder Logan noch Dylan da waren, um ihn vor den Fäusten seines Vaters zu schützen. Aber dafür musste er auch auf ihr Verlangen hin die Bücher lesen, die sie für ihn aussuchte und die von ihr immer ehrfürchtig als ‚die Klassiker‘ bezeichnet wurden.
Zuerst hatte er sich mit diesen Texten herumgequält und sich durch die dicken Wälzer geschleppt, ohne wirklich etwas von dem zu begreifen, was er da las. Dann aber fand er Gefallen daran, auch wenn das niemand erfahren sollte – erst recht nicht seine großen Brüder. Genauso, wie keiner wissen durfte, dass er die Musik von Andrea Bocelli mochte, und auch Big Bands wie Glenn Miller und Tommy Dorsey.
Es waren keine schwerwiegenden Geheimnisse, die er für sich behielt, aber es waren Geheimnisse. Und wenn man als Kind mit zwei Brüdern in einem Haus lebte, war es umso schwieriger, diese Dinge unter Verschluss zu halten.
„Magst du Kristy?“, fragte er den Jungen, um in erster Linie die Unterhaltung in Gang zu halten.
„Sie ist okay“, gab er zu. „In der Bibliothek soll ich sie aber ‚Mrs. Creed‘ nennen.“
„Genau“, sagte Tyler.
Mrs. Creed. Wenn er Logans Frau dazuzählte, gab es derzeit sogar zwei von der Sorte.
Es war nur ein Beweis dafür, dass jemand, der aus den Fehlern der Vergangenheit keine Konsequenzen zog, dazu verdammt war, diese Fehler zu wiederholen.
Kristy hatte ihr ganzes Leben in der Nähe von Stillwater Springs verbracht, also wusste sie, worauf sie sich eingelassen hatte. Briana dagegen war eine Außenseiterin gewesen, eine Fremde, ein unschuldiges Opfer.
Hatte irgendwer sie gewarnt, dass die Creeds berüchtigt für ihre glücklosen Ehen waren? Kannte sie den Friedhof hinter dem Obstgarten? Die drei Gräber der Creed-Frauen allein der
letzten
Generation, die allesamt viel zu früh gestorben waren?
Als er Davie betrachtete, fiel ihm auf, dass der Junge ihn etwas zu interessiert musterte. Es schien, als wollte er ihm eine Frage stellen, doch die schluckte er schnell wieder runter, als sie unerwartete Gesellschaft bekamen.
Ein großer Mann beugte sich über den Tisch. Seine Hemdknöpfe hatten Mühe, den beträchtlichen Bierbauch zu bändigen. Die Arme waren von den Fingerspitzen bis zu den Schultern tätowiert. Er brauchte dringend eine Rasur, und die tief ins Gesicht gezogene Baseballkappe sah aus, als hätte sie ein Lastwagen überfahren, der literweise Öl verlor.
Davie schien vor Tylers Augen zu schrumpfen, so, als versuchte er, sich in Nichts aufzulösen.
Auf Tyler hatte Roys Auftauchen genau den gegenteiligen Effekt.
Er stand von der Sitzbank auf und
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