Heiß wie der Steppenwind
noch wimmernde Galina fallen. »Sorgen Sie für den Abtransport der Verunglückten. Sofort!«
»Es hat doch keinen Zweck mehr. Wer in diese Lauge fällt, zerkocht mit.«
»Noch lebt sie!«
»Aber sterben kann sie auch auf dem Steinboden.« Die Stimme der Sachonowa war kalt und rauh. »Wir hatten neununddreißig Fälle von Verbrühungen, und keine überlebte.«
»Weil ihr sie habt verrecken lassen!« schrie Dunja. »Das da ist ein Mensch, kein Stück Seife! Wo bleibt das Brett?« Sie sah sich um. Ihre Augen sprühten. Die geballte Masse der weißbekittelten, schwitzenden, stummen Frauen zerfloß. Nur die dicke Marfa blieb, rannte zum Spülbecken, schleppte zwei große, kalte Laken heran und warf sie über den verbrannten Körper. Aus dem Dunst tauchten vier Frauen mit einem langen und breiten Bügelbrett auf.
»Sie werden einen Bericht schreiben, Genossin«, sagte Dunja zu Wjera Sachonowa. »Einen genauen Bericht des Unfalls.«
»Ich habe nichts gesehen. Gar nichts.«
»Das ist schlecht.« Dunja half, den zuckenden Körper auf das Brett heben, wickelte die nassen kalten Laken darum und deckte dann den Pelz darüber. »Wozu sind Sie hier, Genossin? Um zu schlafen? Oder haben Sie schlechte Augen? Ich werde den Genossen Augenarzt auf Sie aufmerksam machen.« Sie drehte sich um und lief dem schwankenden Bügelbrett voraus.
Draußen ergriff sie der Eiswind und blies ihr den Frost bis auf die Knochen. Sie schlug die Arme um den Körper und rannte weiter, hinüber zur chirurgischen Station. Anna Stepanowna beobachtete sie vom Fenster ihres Zimmers aus, schüttelte den Kopf und rief die Chirurgie an. »Verbrennungen dritten Grades«, sagte sie. »Bereiten Sie eine große Hauttransplantation vor.«
Der Arzt am anderen Ende der Leitung machte ein dummes Gesicht, schüttelte den Hörer, als spritze er Wasser statt Töne, und fragte dann milde:
»Anna Stepanowna, haben Sie zuviel getrunken?«
»Der Unfall ist gleich bei Ihnen. Und ich habe Ihnen nur gesagt, was Sie gleich noch einmal hören werden.«
»Ich rieche den Wodka bis hier, Annuschka.«
»Dr. Sadowjewa ist unterwegs zu Ihnen. Denken Sie an meine Worte, Genosse.«
Sie legte auf und blickte wieder aus dem Fenster. Die vier Frauen mit dem pelzbedeckten Bügelbrett rannten durch den Wind. Dunja winkte ihnen von der Tür der Chirurgie zu. Schneller, schneller … »Soviel Energie für ein Nichts«, sagte Anna Stepanowna bitter. »Der Mensch ist von Gottes Schöpfungen die mistigste –«
In dem großen Tor der Wäscherei stand Wjera Sachonowa, hinter sich den heißen Dampf, vor sich den eisigen Wind, und beobachtete den Wettlauf mit dem Tod wie eine sportliche Auseinandersetzung.
»Neu ist sie hier«, sagte sie mit ihrer rauhen Stimme, die mehr in einen männlichen Körper gehörte, als in einen Brustkorb mit flachen, hängenden Brüsten. »Neu … und befiehlt schon. Ein studiertes Hürchen. Wir werden noch viel Freude aneinander haben, Genossin Oberärztin …«
*
Dr. Andron Fjodorowitsch Kutjukow, ein junger Arzt aus Perm, den ein unerfindliches Schicksal nach Workuta verschlagen hatte, damit er hier sein Praktikum absolviere, empfing Dunja mit der Hilflosigkeit eines notorischen Bettnässers. Er hatte den Anruf der Stepanowna für einen Scherz gehalten, wahrhaftig, und nun sah er sich einem vom Frost blaurot gefärbten Mädchen gegenüber, dem vier Frauen in weißen Wäschereikitteln mit einem zugedeckten Bügelbrett folgten. Nur durch die flache Erhöhung ahnte er, daß unter dem Pelz auf dem Brett ein Mensch lag.
»Der Unfall …«, sagte er ratlos.
»Ja, natürlich!« Dunja hob beide Arme. »Warum glotzen Sie mich so an? Wer sind Sie?«
»Andron Fjodorowitsch Kutjukow, der diensthabende Arzt.«
»Dann schnell, schnell. Ich brauche Brandbinden, Dauertropf mit Glukose, Sauerstoff mit einer Atemmaske und Haut, frische Haut. Benachrichtigen Sie den Kommandanten. Er soll im Lager einen Aufruf erlassen. Wer freiwillig Haut spendet, bekommt eine Woche lang eine Sonderration Essen.«
Dr. Kutjukow rührte sich nicht. Er starrte Dunja an und ließ dann seinen Blick zu dem Bügelbrett wandern. »Mehr nicht?« fragte er dann.
»Vorerst nicht.«
»Soll ich nicht auch den lieben Gott bestellen?«
Dunja, die schon ein paar Schritte in den Operationssaal gegangen war, drehte sich um. Das Gesicht Dr. Kutjukows war so entgeistert.
»Sind wir Ärzte?« fragte sie laut.
Kutjukow hob die Schultern, senkte den Blick und ging hinaus. Vom Flurtelefon rief er
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