Heiß wie der Steppenwind
dicke, geflochtene Strohschuhe. Im Umkleidegebäude zogen sie sich aus, müde, obgleich sie acht Stunden geschlafen hatten, Frauenkörper ohne Alter, knochig, mit gelblicher Haut und hängenden Brüsten.
Sie streiften sich die weißen Kittel über, holten ihre Holzschuhe aus den Regalen und banden die Kopftücher um die kurzgeschorenen Haare. Eine Uniform der Sauberkeit über zergehenden Leibern.
»Was ist?« fragte Marfa, ein noch verhältnismäßig dickes Weib. Sie band den Gürtel des Kittels unter ihren wie Säcke hervorquellenden Brüsten zusammen und schabte sich mit der linken Hand das Gesäß. »Sollen sie dich wieder prügeln?«
»Ich kann nicht mehr, Marfenka. Ich kann nicht mehr.« Die Frau, sie hieß Galina Pawlowna Korolenka, blieb auf der langen Holzbank sitzen und rührte sich nicht. Sie war ein zartes Frauchen mit großen blauen Augen.
»Was heißt, ich kann nicht mehr?« Marfa, robust, ein Weib aus Weißrußland, das man aus der Küche weggenommen hatte, weil es in unbewachten Augenblicken zwei Pfund Kartoffeln und eine Riesenschüssel mit Kascha so ganz nebenbei fraß und hinterher nicht einmal umfiel und Magenkrämpfe bekam, schlug die Holzschuhe zusammen. »Tu so, als wenn du kannst. Beim Satan, zieh dich um, sie werden es als Sabotage auslegen, wenn du hier herumhockst und die Augen verdrehst. Hilft es dir?«
Sie zog Galina hoch, kleidete sie aus, als sei sie ein Kind, streifte ihr den Kittel über und legte ihr das Kopftuch um die Haare. Galina band das Kopftuch fester. Etwas Schwebendes war in ihren Bewegungen, so, als stehe sie bereits nicht mehr unter den Lebenden.
»Damals … Hat es das wirklich gegeben … den Wald, in dem die Vögel sangen, die Felder, auf denen die Haselmäuse spielten, die Sonne, in der man liegen konnte wie auf einem warmen Bett, den Fluß, auf dem die Fischer in ihren Kähnen hockten und später sangen, wenn der Fang gut war.«
»Geh zum Teufel mit deinen Träumen«, knurrte Marfa.
»Ich lebe von ihnen. Aber sie werden dunkler.«
»Blödsinn! Du wachst endlich auf.«
Aus den Waschhallen kam die abgelöste Schicht zurück … durchnäßt, von den Laugendämpfen aufgedunsen und gerötet, schweißige, in der Hitze gequollene Körper, Abfall wie aus den Sieben der brodelnden Kessel. Sie sanken auf die Holzbänke, wortlos, vernichtet von Seife und Dunst, ließen die nassen Kittel fallen und rangen nackt nach frischer Luft. Die neue Schicht strömte in die Halle. Sie rannte gegen eine heiße, wogende Wand an, durchstieß sie und verteilte sich auf die Arbeitsplätze. Rollwagen mit Wäschebergen ratterten auf schmalen Schienen vom Sammellager zu den Kesseln. In riesigen Behältern brodelte die von einer Zentralschaltstelle gemischte und eingefüllte Lauge. Hinter Glaswänden, getrennt wie der Himmel von der Hölle, arbeitete an langen weißen Tischen und in sauberen weißen Kitteln die Bügelbrigade. Das waren ausgewählte Frauen, wie in allen Lagern meistens Kriminelle. An ihren Mündern konnte man ahnen, daß sie sangen … sie lachten, riefen sich Witze zu und schwangen die Bügeleisen im Takt der Musik über Hemden und Laken. Auch im Waschhaus dröhnte Musik aus drei großen Lautsprechern. Musik, das hatte jemand entdeckt, fördert die Arbeitslust.
Galina Pawlowna schlurfte zu ihrem Kessel. Die Tür stand offen, ein voller Wagen mit schmutziger Wäsche wartete daneben, der nächste Kessel war bereits gefüllt, dann kam die lange gemauerte Wanne der ersten Spülung, die zweite Spülung, der Wagen für die nasse gewaschene Wäsche, die zum Trockenraum gerollt wurde … eine Straße der Qual. Sechs Waschöfen, gierige heiße Mäuler, die alles fraßen, auch die Menschen, die die Wäsche in sie hineinschaufelten.
Acht Stunden, dachte Galina Pawlowna. Acht Stunden Seifendunst. Selbst das Blut wird zu Seifenlauge. Sie füllte den leeren Kessel, warf den Hebelverschluß herum, drehte den Zulauf auf und starrte auf die kochende Lauge, die milchig vom Zentralmischer hereinschoß.
Weiter, Galina, weiter. Kessel Nr. 3 ist fertig. Heraus mit der Wäsche … ja, nimm den Holzprügel und zerre sie aus den heißen Dunstwolken, trag sie zum Spülbecken … immer hin und her … Kessel – Becken, Kessel – Becken … ein Hemd wiegt so viel wie ein Mehlsack, und ein Bettlaken ist zentnerschwer … und immer schwerer wird's, von Weg zu Weg, Kessel – Becken … Kessel – Becken … Galina, Galina … Nr. 2 leuchtet auf, die rote Lampe, die verfluchte rote Lampe …
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