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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Chefarzt Dr. Dobronin an. Als er dessen Stimme hörte, stand er stramm wie auf dem Kasernenhof.
    »Dr. Sadowjewa ist im OP I, Genosse Chefarzt«, sagte er. »Mit einem Unfall. Sie will einen Dauertropf, Atemmaske mit Sauerstoffflasche, Hauttransplantate. Nein, Genosse, ich bin nicht besoffen. Ich soll den Kommandanten benachrichtigen, daß er Freiwillige –«
    »Gehen Sie auf Ihr Zimmer, Andron Fjodorowitsch«, antwortete Dobronin mit fast väterlicher Milde. »Wundern Sie sich nicht. Ich sehe mir die Sache selbst an.«
    Und so war's. Dobronin erschien im OP I, als Dunja gerade die sich ablösenden Hautpartien entfernte und die andere versengte Haut mit kühlendem Puder abdeckte. Galina lag in tiefer Ohnmacht, das sparte die Narkose.
    »Tapfer«, sagte Dobronin und blieb in einiger Entfernung vom OP-Tisch stehen. »Sehr tapfer.«
    »Der liebe Gott.« Dunja winkte Dobronin zu. »Wo ist der Sauerstoff?«
    »In der Luft, Genossin.«
    »Sie haben keine Beatmungsgeräte?«
    »Unsere Kranken liegen nicht Erster Klasse, sondern Grabesklasse. Eine Universitätsklinik Workuta gibt es noch nicht, wird es auch in den nächsten dreihundert Jahren nicht geben.«
    »Wie soll ich ohne Sauerstoff die Frau retten?«
    »Das fragen Sie mich?« Dobronin steckte die Hände in die Hosentaschen. »Sagte ich eben nicht deutlich: Tapfer, tapfer? Glauben Sie wirklich, Sie könnten hier Hauttransplantationen vornehmen?«
    »Ja.«
    »Dunja Dimitrowna, wo Sie jetzt leben, ist alles zu Ende. Menschenwürde und Gottesfurcht, Vernunft und Logik. Lassen Sie diese arme, verbrannte Frau sterben … Sie erweisen ihr damit einen großen Gefallen. Warum sie retten? Soll sie mit vernarbter, runzeliger Haut weiterleben, nur zu dem einen Zweck, zu atmen und das Leben zu verfluchen?«
    Dunja antwortete nicht. Sie schnitt weiter die Hautlappen ab, verband, puderte, gab eine Herzinjektion und schätzte ab, ob es für einen Erstickungstod reichte. Die Wahrheit war erdrückend.
    Dobronin begleitete Dunja bis in das Zimmer, in dem man Galina Pawlowna in ein weißes Bett legte. Ein kleines Zimmer, überhitzt, mit zwei Betten. Im anderen Bett lag eine alte Frau, gelb im Gesicht, mit offenem Mund, aus dem stoßweise ein Stöhnen herausbrach.
    »Brustkrebs«, sagte Dobronin. »Mamma – Amputation. Sehen Sie, auch das machen wir hier. Wir saufen und huren nicht nur. Wir kapitulieren auch nicht. Aber die Grenzen sind eng, Dunja Dimitrowna. Und Sie wollen immer über diese Grenzen hinaus. Das müssen Sie lernen: Mit den Tatsachen leben.«
    Am frühen Abend starb Galina Petrowna Korolenka. Es war ganz einfach … sie hörte zu atmen auf. Dunja, die neben ihr saß und ihre Hand hielt, merkte es erst, als die Finger erschlafften. So leise, so unauffällig, so demütig starb sie.
    Dobronin, der auf dem Wege zu Anna Stepanowna war, wo gleich das kleine Fest der Ankunft Dunjas beginnen sollte, blickte ins Zimmer, als Dunja das Laken über den starren, schmalen Körper zog.
    »Kommen Sie mit, Dunjuscha«, rief er. »Wir wollen ein Gläschen auf Ihre Ankunft in Workuta trinken.«
    »Jetzt?«
    »Es ist so üblich.«
    »Und die Tote?«
    »Dafür haben wir eigene Kommandos. Sollen wir uns auch noch um die leeren Leiber kümmern? Dunja, mein Gott, Sie haben ja Tränen in den Augen. Beweinen Sie jeden Patienten?«
    »Ich schäme mich.« Dunja wischte sich die Tropfen von den Lidern. Mit einer heftigen, ruckartigen Handbewegung. »In Irkutsk hätte Galina Petrowna überlebt.«
    »In Irkutsk. Das liegt auf einem anderen Stern.«
    Im Zimmer der Stepanowna saßen bereits die zwei anderen Ärztinnen und fünf Ärzte, rauchten selbstgedrehte Zigaretten, tranken Bier und Wodka und hatten die Beine auf den Tisch gelegt. Kutjukow hatte eine Balalaika mitgebracht. Er klimperte auf ihr herum, fabrizierte nur Töne, keine Melodie und bekam verträumte Augen, als Dunja ins Zimmer trat.
    »Es lebe die Schönheit«, rief Nikolai Michailowitsch Wyntok, ein großer Mensch mit dunklen, struppigen Haaren und einer gewaltigen Hakennase. Er besaß einen dröhnenden Baß, und wenn er lachte, klirrten die Scheiben. Von ihm sagte man, er habe beim Studium sicherlich geschlafen, und als es ins Examen ging, hatte er das Glück, von weiblichen Professoren geprüft zu werden. Das einzige, was er von Anatomie beherrschte, war die Sicherheit im Griff unter die Röcke. So soll er die Professorinnen geprüft haben und bestand sein Examen als Arzt. Er war in Workuta der Leiter der Selektions-Abteilung, ein

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