Heiß wie der Steppenwind
befinden … So eine Blutvergiftung ist eine langwierige Sache …«
Es klopfte an die Tür. Pjetkin sah ein, daß er, ohne Mißtrauen zu erregen, nicht länger mehr allein mit Marko in Zimmer 4 sein durfte.
»Noch drei Minuten!« schrie er. »Wer will etwas?«
»Dr. Kalanenkow muß einen Karbunkel schneiden.«
»Sofort!« Pjetkin umfaßte Marko an den Schultern. »Wenn du Dunja sprechen kannst, erzähle nichts von Marianka Jefimowna. Sie ist auch hier.«
»Ich weiß es. Ich habe sie gesehen. Sie haben die Hölle komplett ausgestattet.«
»Bis heute habe ich alles von ihr bekommen, was ich wollte. Sie ist zahm wie ein Kaninchen.«
»Und sie hat schon wieder an deiner Tür gerüttelt?«
»Noch nicht.«
»Warte es ab, Igorenka. Warte es ab. Dann verliert das Kaninchen seinen weichen Pelz …«
»Sie glüht, ich weiß es. Wenn sie neben mir steht, ganz gleich wo, am OP-Tisch, vor den Krankenbetten, irgendwo, wie's sich ergibt, weht es von ihr wie ein heißer Wind über mich hinweg …«
Marko sah Pjetkin nachdenklich an. Sein Gesicht zerknitterte vor stumm gedachten Gedanken. Dann sagte er langsam: »Du wirst ihr nicht entrinnen können, Igorenka. Man hat sie in dein Leben eingepflanzt, nun mußt du sie begießen. Willst du verdorren in ihrem Glutatem? Nimm sie ins Bett –«
»Und Dunja?!«
»Du betrügst sie nicht, mein Söhnchen. Alles, was zum Überleben nötig ist, wird dir verziehen. Marianka gehört dazu wie Essen und Trinken … sie gehört zu deinem Nährboden, also pflüge sie um! Es gibt Sünden, die kann man abwaschen, und Gott schrubbt dir dabei noch den Rücken. Wehre dich nicht mehr, Igorenka. Wir haben den Gipfel menschlicher Einfachheit erreicht. Uns gehört nur noch eins: Das Leben. Dafür ist nichts zu teuer, zu gemein, zu gering und zu schrecklich. Was bedeutet da eine Marianka Dussowa –«
*
Jewronek atmete hörbar aus, als Godunow wieder in der Fleischerei erschien, dick verbunden, aber fröhlichen Gemüts. »Jetzt täte mir ein Schlückchen gut«, sagte er, und Jewronek betrachtete dies wieder als Hinweis, daß der ekelhafte Zwerg auch über Jewroneks Wodkabestände informiert war.
»Sie sind gerettet?« fragte er ausweichend, holte eine Flasche unter dem Bett hervor und goß zwei Wassergläser halb voll.
»Wie man's nimmt … die akute Gefahr ist vorbei. Aber gerettet? Wer kann solche Hoffnungen aussprechen? Ich hatte bereits neun Millionen Bakterien im Daumen.«
»Neun Millionen! Und der Doktor hat sie gezählt?«
»Wüßte ich es sonst?«
»Welch ein genialer Arzt.« Jewronek stieß mit Marko an und trank. Er war tief beeindruckt …
»Wenn man bedenkt, daß eine einzige Bakterie genügt, einen Menschen zu töten. Und ich hatte neun Millionen …«, sinnierte Marko laut.
Jewronek lief es eiskalt über den Rücken. Die Furcht aller Russen vor Infektionen schnürte sein Herz ein. Er atmete laut, trank das Glas leer und rückte von Marko ab.
»Sie sind natürlich nicht mehr arbeitsfähig?« fragte er vorsichtig.
»Nicht am offenen Fleisch.« Marko hob wie bedauernd seine breiten Schultern. »Ich werde mich um die Transporte kümmern, Genosse. Soll ich Ihnen einmal erzählen, wie vorzüglich ich Autos lenken kann?«
»Nein, danke. Ich glaube es Ihnen, Genosse.« Jewronek röchelte nach innen. Er wird alles entdecken, quälte es ihn. Er hat ein Gehirn aus Röntgenstrahlen. Ob man ihn bestechen kann? Ob man mit ihm einmal von Freund zu Freund redet? Flüchten wir nach vorn, Brüderchen … die Chance, daß man alles beschlagnahmt und mir den Schädel kahlschert, ist immer gegeben. Vielleicht klappt's mit einem innigen Kumpanentum und etlichen Rubeln – »Fahren Sie morgen schon mit?«
»Natürlich.« Marko legte die rechte Hand über den Verband. Pjetkins Brief aus Jod und Zellstoff. »Keine unnötige Schwäche! Um Fleischkübel zu begleiten, fühle ich mich stark genug. Nasdarowje, Brüderchen.«
»Zu Ihrem Wohle, Marko Borissowitsch«, antwortete Jewronek mit belegter Zunge. Das Glas zitterte in seinen Fingern. Er weiß schon alles, dachte er. Er weiß alles! Der Himmel sei gnädig mit mir …
Z WEIUNDDREISSIGSTES K APITEL
Propheten hatten in der Regel das Pech, für ihre Weisheiten mit dem Tod bestraft zu werden.
Damals hätte man auch Marko auf irgendeine Weise vom Leben zum seligen Tod befördert, denn es traf genau das ein, was er prophezeit hatte. In der Nacht nach dem Wiedersehen zwischen Marko und Pjetkin öffnete sich leise die Tür von Igors Zimmer, und die
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