Heiß wie der Steppenwind
Stärkeren. Ist man jetzt doch der Ansicht, daß aus gescherten Schafen Kälber werden?«
»Plumow ist ein kleiner Beamter, Igorenka. Ein Schweißtropfen auf einem Behördenstuhl. In Moskau wird man lächeln über solche Vergleiche.«
»Ein verrücktes Leben.« Pjetkin umfaßte seine Knie. »Was bin ich nun? Russe oder Deutscher?«
»Als was fühlst du dich selbst?«
»Diese Frage habe ich nie ohne Antwort gelassen: Ich bin ein Russe! Ich heiße Pjetkin. Ich bin Kommunist. Ich bin ein sowjetischer Arzt. Was will man noch mehr?«
»Gehorsam.«
Pjetkin drehte etwas den Kopf. Von Marianka sah er nur ein paar dunkle Locken und einen schmalen Streifen ihres schönen, wilden Gesichtes. »Unterwerfung!«
»Sind Worte oder Begriffe so wichtig?«
»Ich bin nicht für einen Käfig geboren. Nicht jeder hat die Gabe, ein russischer Tanzbär zu sein.«
»Jetzt redest du auch in Schlagworten und wunderst dich, wenn andere es auch tun. Zum Teufel, das ganze Leben besteht aus Illusionen, Versprechungen, Betrügereien, Enttäuschungen, Zwang, Dienen und Leiden. Was wir schön an diesem Leben nennen, haben wir uns heimlich abgerungen. Wir müssen lernen, mit Tatsachen zu leben, mit offenen Augen, nicht mit Scheuklappen. Igorenka … du hast vor dir die Treppe zum Erfolg –«
Pjetkin schüttelte den Kopf. Marianka hatte ihn zwischen ihre Hände genommen, jetzt riß er sich los. »Die Natur hat mir ein Hirn mitgegeben, das denken kann! Sowjetische Lehrer haben es geschult, logisch zu denken.«
»Nun bist du groß, hast einen Beruf und mußt vergessen, daß du ein Individuum bist. Du bist ein Bestandteil des großen Volkes. Alles, was du tust, ist zum Nutzen dieses Volkes. Du lebst für dein Vaterland, nicht für dich. Für sein Land leben aber heißt: gehorchen! Alles andere ist bourgeois, kapitalistisch.«
»Und du glaubst wirklich an das, was du da sagst?«
»Danke –«
Pjetkin sah sich um. Mariankas Augen waren ganz nah. Groß, glänzend, in ihrer leichten Schräge raubtierhaft, bezwingend.
»Wofür danke?«
»Du hast mich erstmals du genannt. Wir kommen uns näher, Igorenka, finden uns … irgendwo … noch suchen wir den Platz –«
Sie schlang die Arme von hinten um ihn und preßte sich an ihn. Ihre Brüste drückten in seinen Rücken. Die Umarmung war so kräftig, daß sie ihm die Luft abpreßte und er tief und langgezogen atmen mußte.
»Gehorsam heißt: Dunja vergessen –«
»Zum Beispiel – ja. Aber das ist nur eine Masche, aus der man deinen Anzug webt.«
»Was weiter.«
»Tausende Dinge. Zurückziehung des dämlichen Antrages, nach Deutschland entlassen zu werden. – Ein guter Arzt sein.«
»Bin ich ein schlechter?«
»Du bist ein kritischer Arzt.«
»Gut und kritisch können nicht miteinander leben?«
»Kannst du ein Pferd mit einer Eule paaren?«
»Das ist doch dumme Rederei.«
»Schon wieder Kritik! Igorenka, wach auf, wach auf!« Sie schüttelte ihn, küßte seinen Nacken und zog ihn nach hinten. Er lag halb auf ihr, ihre Beine schoben sich an seinen Seiten vorbei, nackt, kräftig, mit einer glatten, glänzenden Haut. Er legte seine Hände darauf, das feste Fleisch war kalt, die Muskeln zuckten unter seinen Fingern. »Erinnerst du dich, was ich dir in Sergejewka sagte? Klebe dir ein Pflaster auf das Maul, nimm die Fahne und marschiere nach dem Takt, den sie dir vorschlagen. Du hast es nicht getan … und wo bist zu jetzt? Im Vorhof der Hölle.«
»Und wo bist du, mein kluges Mädchen?«
»Bei dir –« Ihre Stimme versank in Zärtlichkeit. »Ich bin bei dir. In Workuta! Ich habe die Behörden gezwungen, mich nach Workuta zu versetzen. Ich habe dich wiedergesehen. Du bist wieder um mich. Mehr will ich vom Leben gar nicht.« Ihre Hände streichelten seine Brust, glitten hinunter zu seinem Leib, tasteten sich schlangengleich zu den Innenseiten seiner Schenkel. Er hielt diese Erkundungen nicht auf, lag wie gelähmt unter der Erkenntnis, daß Marianka Jefimowna recht hatte. Wer bin ich, dachte er. Was bin ich? Ein Mensch, der mitten in der Wüste steht und in die Weite schreit: ›Wasser komm! Ich verdurste. Wasser komm –‹, und der glaubt, daß sich mitleidvoll genau vor seinen Füßen der Sand teilt und eine Quelle entspringt, nur, weil er so laut und verzweifelt gebrüllt hat.
»Ich liebe dich, Igorenka …«, sagte Marianka dunkel. Sie hatte den chinesischen Mantel ausgezogen, und durch seinen Schlafanzug spürte er ihren nackten Körper. Es war die Verlockung und die Aufgabe seines
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