Heiß wie der Steppenwind
Willens, von denen Marko gesprochen hatte.
Er warf den Kopf zurück und lag zwischen Mariankas Brüsten, ein schwellendes, duftendes, samtweiches Polster. Wohlige Geborgenheit durchströmte ihn, das Gefühl eines Kindes, das am Körper der Mutter Schutz sucht. Er drehte das Gesicht zur Seite, unter seinen Lippen glitt die glatte, warme Haut an ihm vorbei. Sein Herz hämmerte schmerzhaft, ein Rauschen jagte durch seinen Kopf, als umschäume ihn das Meer … Erinnere dich an Dunja, schrie irgend etwas in ihm, aber es war eine schwindsüchtige Stimme, die im Rauschen unterging.
D REIUNDDREISSIGSTES K APITEL
Der erste Fleischtransport ins Frauenlager nach Auftauchen des widerlichen, geheimnisvollen und sicherlich gefährlichen Zwerges Godunow zwang den dicken Jewronek zu einigen Umdisponierungen. Das ›Schwundfleisch‹, also das den Häftlingen entzogene und lebensnotwendige Fleisch wanderte statt unter den Sitz des Lastwagenfahrers in die Küche, was dort ein sprachloses Staunen auslöste. Der Küchennatschalnik hängte sich ans Lagertelefon und rief seinen Kollegen Jewronek an.
»Ihr habt euch verzählt«, sagte er vorsichtig. Man weiß nie, was hinter solchen Irrtümern steckt. Oft verteilt der Teufel Bonbons, die sich hinterher als rizinusgefüllt entpuppen. »Siebzehn Kilo sind's zuviel.«
»Die Waage stimmt.« Jewronek tropfte der Schweiß von der Stirn. Hinter ihm stand Marko, den Arm in der Schlinge, und grinste wie ein Idiot. »Lies die Zuteilungsliste, Genosse, und du hast keine Fragen mehr.«
Dem Küchenleiter verschlug es die Sprache. Er schüttelte das Telefon, blies in die Muschel, als könne er damit Jewroneks Gehörgang reinigen, und brüllte dann: »Genosse, überlegen Sie, was Sie da angerichtet haben! Ich bin zur Buchführung verpflichtet, dem Himmel sei's geklagt! Wie sieht das aus, wenn plötzlich von einem Tag auf den anderen siebzehn Kilo Fleisch mehr auftauchen? Dabei haben wir im Lager keine Neueingänge, nur Abgänge. Aha, sie haben die Toten mitgezählt, werden die Kontrolleure sagen. Der alte Trick: Man schleppt eine Menge Abgänge listenmäßig mit sich herum und kassiert dafür doppelte Portionen. Nicht bei mir, Jewronek, nicht bei mir. Ich bin ein ehrlicher Mensch, ein guter Kommunist –«
Jewronek legte mit verzerrtem Gesicht auf und wischte sich über das riesige, flächige Gesicht.
»Ein Schwätzer, dieser Koch«, sagte er. »Kann wohl mit einem Holzlöffel in der Kascha rühren, aber rechnen kann er nicht. Jedem das Seine. Wenn hier eine Zahl steht, so sind wir peinlich genau und halten sie ein. Das können Sie doch bestätigen, Marko Borissowitsch.«
»Ein Problem bleibt immer der natürliche Schwund«, sagte Marko harmlos.
Jewroneks Herz setzte aus, er wurde bleich und lehnte sich an die Wand. Die Schlinge, da ist sie! Wirft es so lässig durch die Gegend, das verdammte Wort Schwund, über das schon Generationen von Natschalniks gestolpert sind. Nun legt es sich mir um den Hals; Mutter Gottes, laß mich nicht von diesem Zwerg erwürgen. Ich war immer und im übertragenen Sinne ein braver, ehrlicher Mensch … ich habe das Fleisch verkauft, die Rubelchen genommen und sie den Weibern zugesteckt. Sie hatten es alle nötig, am Leben habe ich sie damit erhalten. Man sollte das als gute Tat werten.
»Mit dem Schwund ist das so eine Sache«, antwortete Jewronek und knetete die Worte durch seinen Gaumen. »Wir versuchen, ihn zu vermeiden.«
»Und es gelingt?«
»Nicht immer –«
»Ein Wunder wär's auch gewesen, das man in allen Kirchen hätte auspreisen müssen«, sagte Marko zur Verblüffung Jewroneks.
Auch das kann eine Falle sein, eine ironische Anmerkung, weiß der Teufel. Von Vorsicht wie von einem eisernen Korsett gestützt – wie alle Russen – begann der Natschalnik, ein trauriges, ja schauerliches Klagelied vom Schwund zu singen, vom Unterschied zwischen dem Gewicht nach dem Schlachten und dem tatsächlichen Gewicht bei der Bearbeitung. Schwund, das ist ein Hexensabbat.
Marko nickte mehrmals bei diesem Vortrag. Als Jewronek der Atem ausging, der Wortschwall auch, sagte er mit einer umwerfenden Nüchternheit: »Begriffen, Genosse. Fällt bei diesem Phänomen nicht ein Kilo für mich ab?«
Jewronek glotzte den Zwerg sprachlos an, riß dann das Telefon vom Tisch und wählte die Lagerküche.
»Zurück mit den siebzehn Kilo!« brüllte er, ohne Erklärungen zu geben. »Sie gehören hierher! In zehn Minuten liegen sie vor mir auf dem Tisch!« Schwer atmend legte er
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