Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Jewronek kräuselte die dicke Nase, blähte seinen Stiernacken auf und verließ die Halle. Er hatte Angst. Da waren zwei Augen, die alles sahen, zwei Ohren, die alles hörten, ein Gehirn, das ihnen allen überlegen war. Genossen, wer hat so etwas in seiner Brigade gern?
    Am späten Nachmittag, kurz vor Arbeitsschluß, erhob sich ein großes Geschrei im Schlachthaus. Jewsej, Jewroneks Vertrauter und ehemaliger Spezialist für Warenhauseinbrüche, stürzte atemlos in Jewroneks Zimmer.
    »Er hat sich verletzt«, schrie er. »Er hat sich in den linken Daumen geschnitten. Nun sitzt er da und brüllt etwas von Blutvergiftung.«
    Jewronek dachte an Moskau, an die geheimnisvolle Kontrollbehörde, an die Wichtigkeit dieses Zwerges und sprang hoch. »Eine Katastrophe!« stammelte er. »Warum hat man nicht das Krankenhaus verständigt? Warum nicht?!«
    »Weil sich einer in den Finger schneidet?« fragte Jewsej dämlich zurück.
    »Einer?« schrie Jewronek. »Wenn ihr euch die Köpfe abschneidet, ist das nur ein Strich durch eure Namen in der Liste … aber bei Godunow können wir alle in den Strafbunker wandern, wenn ihm etwas geschieht. Wo ist er? Noch in der Halle?! Ihr Idioten! Ihr Böcke mit Scheiße im Kopf! Godunow muß sofort ins Krankenhaus gebracht werden. Liegend!«
    Jewronek rannte hinaus. Im Schlachthaus traf er Marko an, bleich und mit weiten Augen. Er hatte einen Lappen um seinen blutenden Daumen gewickelt und erzählt mit dumpfer Stimme ein Erlebnis aus Kischinew.
    »Wie gesagt … das Skalpell rutschte aus und hinterließ einen kleinen Ritz im linken Daumen. Was macht der Trottel? Er lutscht ein paar Minuten daran und kümmerte sich nicht mehr darum. Am Abend schon hatte er Fieber, in der Nacht war seine Hand dick wie eine Bärentatze, klopfte wie mit tausend Hämmern, der Arm brannte wie mit Nesseln eingerieben, und die Gedanken verwirrten sich. O Himmel, soll es mir auch so ergehen? Wißt ihr, wieviel Leichengift-Bakterien bereits in diesem Fleisch sind? Beim Satan, ich spüre ein Klopfen in meinem Arm –«
    »Ein Brett!« brüllte Jewronek schon an der Tür. »Legt ihn auf ein Brett!«
    Er bremste vor Marko seinen Lauf, beugte sich über ihn, starrte ihm in die aufgerissenen Augen und nickte mit zugeschnürtem Hals, als Marko fragte: »Sehen Sie das Glänzen meiner Augen? Das Fieber … das tödliche Fieber …«
    »Ruhe, Genosse«, flüsterte Jewronek heiser. »Behalten Sie bei Gott, wie man so sagt, Ruhe, Genosse. Nur keine Panik. Es geschieht alles, um Sie zu retten. Ich habe den besten Arzt alarmiert, den Genossen Pjetkin. Er wird Sie retten.«
    Marko nickte dankbar, verdrehte die Augen und sank zusammen.
    Jewronek schnaubte laut durch die Nase, hob den Zwerg mit Hilfe von Jewsej auf ein gescheuertes Brett, deckte ihn mit seinem Hundefellmantel zu und betete innerlich, daß Gott, der mißachtete, hier ein gutes Werk tun möge. In welcher Richtung – das überließ Jewronek ganz dem Beschluß des Herrn.
    Vier Fleischer in weißen, blutverschmierten Kitteln trugen Marko im Laufschritt durch die Kälte und den Schneewind hinüber zum Krankenhaus. Jewronek blieb zurück; der Riese fühlte, wie seine Beine weich wurden, denn wem widerfährt es schon, daß er plötzlich und ohne sein Zutun im Blickfeld Moskaus steht?

E INUNDDREISSIGSTES K APITEL
    Pjetkin hatte gerade die Visite beendet und mit dem Kapo des Reviers V gebrüllt, weil drei Patienten in ihrem Kot lagen – natürlich Politische, die man auf diese Weise diffamieren wollte – als die Metzger mit ihrem zugedeckten Brett antrabten. Ein Vorbote hatte schon lauthals verkündet: »Eine Blutvergiftung, Genosse Doktor! Der ganze Arm –« Und bevor Pjetkin Näheres erfragen konnte, war der Fleischer schon wieder aus dem Haus.
    »In Zimmer 4 –«, rief Pjetkin den Flur entlang, als die Brettträger erschienen. »Ich komme sofort!«
    Zimmer 4 war ein neu eingerichteter OP für septische Operationen. Er war die erste Handlung Pjetkins nach seinem Wiedersehen mit der Dussowa. »Wollen wir uns die Sepsis züchten?« hatte er gesagt, als an einem Tag Fleischwunden, vereiterte Rücken, Riesenfurunkel und dann eine prall mit Steinen gefüllte Gallenblase auf den gleichen Tisch gehoben wurden. Ein Sanitäter tat als Vorbeugung nur das Allernotwendigste und wusch mit einem alten Lappen, der nach Lysol stank, das Gestänge ab. »Ich lehne es ab, zu operieren, wenn nicht die geringsten Gebote der Sterilität eingeführt werden.«
    »Schrei nicht so, mein

Weitere Kostenlose Bücher