Heiß wie der Steppenwind
»die Schlägerei ließ sich nicht vermeiden.«
»Auf keinen Fall. Ich wäre sonst ein Lump gewesen.«
»Wer hat gesiegt?«
»Ich.«
»Das habe ich auch erwartet.« Pjetkin erhob sich stolz. »Alles andere werde ich regeln.«
Er griff in die Uniformtasche und holte eine flache Flasche mit Wodka heraus. Unter Irenas mißbilligenden Blicken schraubte er den Verschluß los und reichte die Flasche an Igor weiter. »Zur Stärkung der Lebensgeister«, sagte er leichthin. »In einer Stunde essen wir wie gewohnt.«
Das war ein Kommando.
Eine Stunde später saß Igor am runden Tisch und löffelte Borschtsch.
Er ist ein guter Vater, dachte er. Er ist mein einziger Vater. Ich bin wirklich Igor Antonowitsch Pjetkin.
S ECHSTES K APITEL
Die Monate flossen dahin wie die blauen Wellen des Bakul. Die Sommer waren heiß, und der Duft von den Weinbergen, den Gärten und Obstplantagen strich betäubend süß über das Land bis in die Straßen der Vorstädte. Am Abend flammten die Hügel im Abendrot auf, als seien sie aus Kupfer getrieben, und die Weingärten bildeten goldene Ranken bis zum Himmel. Tausende zogen an diesen Abenden zum Flußufer oder in die Hügel; die Bandura, ein zitherartiges Saiteninstrument, erklang, oder man spielte lustige Tänzchen auf der Knopfharmonika, der Bajan.
Im Winter lag Einsamkeit über dem Land. In den Hütten außerhalb der Stadt brannten die purpurnen Feuer auf den offenen Herden und klagte das Vieh in den Ställen. Die Städter schimpften über die mangelnde Kohlenzuteilung, heizten nur ein Zimmer oder krochen ins Bett.
Igor Antonowitsch war ein fleißiger Student. Seine Zwischenprüfungen machte er mit Auszeichnung.
»Wie wir es sehen«, sagte nach drei Jahren der Professor für Chirurgie zu dem stolzgeschwellten Pjetkin, »wird Ihr Sohn Igor einmal ein guter Chirurg werden.«
Und der Professor für innere Krankheiten prophezeite: »Er wird ein sicherer Diagnostiker werden.«
Komischerweise beanspruchte jeder Fachprofessor den jungen Pjetkin für sich und weissagte ihm eine große Zukunft auf seinem Spezialgebiet. Sogar der alte Salkin, der seinen Leichen Witze erzählte und seine Anatomiestunden mit einem »Es muß nun einmal sein!« begann, behauptete, Igor habe die phänomenale Begabung eines ausgezeichneten Anatomen.
»Wofür wirst du dich entscheiden?« fragte Pjetkin einmal seinen Sohn. Und Igor antwortete ohne Zögern: »Für die Chirurgie.«
»Und warum?«
»Sie steht an der vordersten Front der Medizin.«
Es war eine Antwort, die Pjetkin gefiel. In diesen Jahren verliebte sich Igor mehrmals, lag mit den Mädchen im hohen Ufergras des Bakul, verführte sie in Weinhütten und lernte bei einer jungen Witwe die Techniken einer Liebeskunst, die er bald perfekt beherrschte. Doch immer wieder brach er aus den Umarmungen aus und zog sich voll tiefer Gedanken in sein Zimmer zurück.
Dort hing an der Wand, in einem billigen, schmalen Holzrahmen, die Zeichnung des Mädchenkopfes. Über dem rechten Ohr war es ein bißchen verwischt … dort hatte der Kaukasier hingespuckt. Igor hatte es nicht ausgebessert – der Fleck war eine Ehre wie eine Wunde aus einer Schlacht.
Eine große Freundschaft hatte sich in diesen Jahren entwickelt. Man glaubt es kaum, wer dieser Freund geworden ist. Ausgerechnet Marko Borissowitsch Godunow war es, jawohl, der häßliche Zwerg, der Anatomiediener, diese nach Formalin und Desinfektion stinkende Wanze, die zwischen den Leichen hockte und über jeden Witz des alten Salkin meckerte wie ein kastrierter Bock.
Es war eine merkwürdige Freundschaft. Igor übte außerhalb der Anatomiestunden an den toten Körpern, schlich heimlich zu Marko in den kalten Keller, gab ihm drei Rubel und ließ sich die schönsten Toten hereinfahren. An ihnen lernte er das schnelle, sichere Operieren, das wieselartige Knoten der Fäden, die schweren Gefäßnähte und die gewagten Eingriffe, die große Chirurgen selbst nur in Notfällen anwenden.
Marko, der Zwerg, hockte bei diesen Übungen auf dem benachbarten Marmortisch, die Hände im Schoß, die triefenden Augen bewundernd auf die Hände Igors gerichtet. Wenn eine gute Naht gelang oder ein besonders kühner Schnitt, klatschte er Beifall wie im Theater und schmatzte mit den Lippen.
»Sie werden ein großer Arzt!« sagte er oft. »Gleich habe ich das erkannt! Glauben Sie, ich hätte Sie sonst heimlich in die Anatomie gelassen? Für die Wissenschaft setze ich meinen Posten aufs Spiel, nur für die Wissenschaft.«
Aus diesen
Weitere Kostenlose Bücher