Heiß wie der Steppenwind
gepreßte Früchte und tranken dazu Limonade, die man in gewachsten Bechern an einem Erfrischungsstand im Park holen konnte.
»Wenn du das Täubchen wenigstens genau beschreiben könntest. Wie ein Bild …«
»Ein Bild!« Igor sprang auf und klatschte in die Hände. »Das ist es! Ein Bild zeichnen wir von ihr! Aus dem Gedächtnis heraus. Oh, ich sehe sie vor mir, mit allen Einzelheiten …«
Sie fuhren in die Stadt zurück, kauften in einem Kaufhaus einen billigen Zeichenblock und einen weichen Bleistift.
»Fangen wir also an«, sagte Igor Antonowitsch später, als sie auf einer Bank vor der Universität saßen.
Staunend und mit leiser Ergriffenheit sah Pjetkin zu, wie sein Sohn den Kopf eines Mädchens zu zeichnen begann. Bis heute hatte er nicht gewußt, daß Igor eine solche Begabung in sich trug, und er fragte sich, ob nicht noch manches in dem Jungen schlief, was einmal ans Tageslicht kommen und allgemeines Erstaunen verbreiten würde.
»Ihr Gesicht ist nicht rund, aber auch nicht schmal«, sagte Igor während des Zeichnens. Der Bleistift zauberte ein Gesicht auf das graue Papier, große, schöne Augen, einen kühn geschwungenen Mund, bis zu den Schultern reichende Haare, einen schmalen Hals, der den Kopf in stolzer Haltung trug. Zugegeben, es war eine grobe Zeichnung. Ungeübt, schief in der Perspektive – aber ähnlich. Pjetkin begriff, daß es ein Mädchen sein mußte, dem selbst er nachgesehen hätte.
Er nahm die Zeichnung aus Igors Händen und hielt sie von sich weg. »Ein Mädchen aus dem Südosten«, sagte er dann.
»Wieso?«
»Ihre Augen stehen ein wenig schräg. Und die Jochbeine sind ausgeprägter.«
»Das stimmt. Genau so ist es, Väterchen.«
»Wir werden sie finden, mein Wölfchen.«
Pjetkin erhob sich und klemmte die Zeichnung unter seine Achsel. »Wenn sie so aussieht wie dieses Bild, zieht sie immer ein Rudel Männer hinter sich her …«
*
Es ist erstaunlich, wie gut reife Männer in solchen Dingen Bescheid wissen. Kaum hatte Igor seine Zeichnung in der medizinischen Fakultät herumgezeigt, als er auch schon einige Auskünfte erhielt.
Es war der Anatomiediener Marko Borissowitsch Godunow, ein zwergwüchsiger, schiefnasiger Mensch von erschreckender Häßlichkeit, der Igor auf die Spur half.
»Sie war hier. Aber nur zwei Tage«, sagte er. »Erzählte, sie sei zu Besuch bei einer Tante, wies einen Immatrikulationsschein vor und stellte sich hinten an, als Professor Salkin und seine Studenten einem alten Männchen den Bauch aufschnitten.«
»Hier also. Hier.« Igor blickte sich um. Ein kalter, kahler Raum mit langen Marmortischen und leeren Zinkwannen. Die Leichen lagen nebenan im Kühlkeller. Über den Seziertisch glänzten die schirmlosen Lampen. Gibt es etwas Trostloseres als einen Anatomieraum?
»Sie studiert also Medizin?«
Der Zwerg Marko kratzte sich die schiefe Nase. Er lächelte jetzt, und das machte ihn so häßlich, daß man Luft holen mußte, um ihn mit Ruhe anzusehen.
»Sie ist wieder weg«, sagte er. »War nur Gast für zwei Tage.«
»Und wo ist sie hin?«
»Wer soll das wissen, mein Lieber?«
Igor bedankte sich für die Auskunft und nahm am nächsten Tag die Suche mit Hilfe seiner Zeichnung wieder auf. Pjetkin begleitete ihn dieses Mal nicht.
Es war ein schlechter Tag für Igor. Er wurde gezwungen, sich zu prügeln, und das im Innenhof der Universität. Ein Student, ein Kaukasier mit einem flotten Bärtchen auf der Oberlippe, anmaßend und sich stark wie ein Bulle im Frühling fühlend, nahm Igor die Zeichnung aus der Hand, betrachtete sie mit schiefem Kopf, lachte und spuckte dann auf das Papier.
»Ein Kulakenweibchen sucht er, das feine Herrchen!« schrie er. »Ein Burjatenhürchen, das hinter jedem Pferdeschenkel die Röcke hochhebt und sich wie eine Eselin bespringen läßt! Wer kennt sie, he?«
Er hob das Bild hoch über den Kopf und schwenkte es mit meckerndem Lachen.
»Meldet euch, Brüderchen, ohne Scheu. Wer hat schon mit ihr geschlafen?«
Igor Antonowitsch senkte den Kopf. Heiße Wut zerfraß ihn … er seufzte tief, ballte die Fäuste und stürzte sich auf den Kaukasier.
»Das Bild her!« keuchte er. »Du triefäugiger Teufel! Warum beleidigst du mein Mädchen?«
Er schlug drauflos, zuerst auf die Brust des langen Schnauzbartträgers, dann gegen dessen Kopf, dreimal kurz hintereinander, so schnell, daß der andere erst an Gegenwehr dachte, als er schon schwankte und rote Punkte vor seinen Augen tanzten. Er warf die Zeichnung im hohen Bogen
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