Heiß wie der Steppenwind
betoniert mit einem kleinen Kran, der versonnen vor sich hin rostete, denn nur sechsmal war Issakowa, nach seinem feierlichen Anschluß an das Transportnetz, von einem Lastkahn angelaufen worden. Dann entdeckte ein kleiner Beamter, daß eigentlich hinter Issakowa die Welt zu Ende war und gab den Plan auf, das Dorf zu einer Handelsstation auszubauen. Dafür verlegte das Armee-Hauptquartier in die Nähe Militär … Panzertruppen, Pioniere und Raketeneinheiten. Sie hausten abseits in den Wäldern, in eigenen, abgesperrten Lagern. Nur sonntags bekamen die Leute von Issakowa etwas Kontakt mit den lieben Soldaten. Dann badeten diese im Amur, und manches Mädchen in Issakowa wurde schwanger.
Heute aber genoß Issakowa einen wahren Freudentag. Die Hauptstraße war mit Girlanden geschmückt, die Leute trugen ihre Sonntagskleidung, fegten den Staub vor ihren Türen, putzten den Kindern die Nase oder drängelten sich vor dem Haus Sadowjews, um Geschenke abzugeben.
Anna Sadowjewa, die Hausfrau, backte und briet in der großen Küche. Vier Nachbarinnen halfen ihr. Aus allen Ritzen und Fenstern quoll der Duft von Speck und Fleisch, Sauerkohl und Fisch, vermischt mit dem köstlichen Geruch von heißem Brot, das in runden Laiben auf einem gescheuerten Brett lag und auskühlte.
Sadowjew sattelte sein Pferd. Er legte unter den Sattel die goldgestickte mongolische Schabracke, putzte mit dem Jackenärmel noch einmal über alle blanken Teile des Geschirrs und polkte dem Gäulchen Häkselschnipsel aus den Augenwinkeln. Dimitri Ferapontowitsch war kein schöner Mann, selbst ein Blinder hätte nicht gewagt, so etwas zu behaupten. Klein, säbelbeinig, mit seinem langen hängenden Schnurrbart und seinem bestickten Filzkäppchen auf dem kahlen Schädel, sah er nicht anders aus als die Chinesen oder Mongolen, die als Händler über den Fluß segelten und Seide, Glasperlen und Opium verkauften. In den ersten Jahren seiner Ehe mit Anna hatte er sich oft gefragt, wie es möglich sei, daß ein so schönes Mädchen einen Mann wie ihn lieben konnte.
Ihre Liebe muß ein Irrtum sein, dachte er schwermütig. Eine vorübergehende geistige Verwirrung. Wenn sie daraus aufwacht, wird sie aufschreien, die Schürze vors Gesicht schlagen und davonrennen.
Aber Anna blieb bei ihm, schenkte ihm sogar eine Tochter, die sie Dunja nannten, und es wurde ein Kind, so schön wie der Frühlingshimmel, mit Haaren, die goldener leuchteten als der reife Weizen.
Sadowjew seufzte gerührt, schwang sich auf sein Pferd und ritt aus seinem Hof.
»Jetzt ist sie auf dem Weg!« rief er. »Vor einer halben Stunde ist sie mit dem Zug aus Chabarowsk in Blagowjeschtschensk angekommen! Ich reite ihr entgegen. Geht zu mir, Freunde, geht zu mir … ihr seid alle meine Gäste.« Er gab seinem Gäulchen die Sporen und sprengte aus dem Dorf hinaus in die Weite der Flußniederung.
Bis zur Dorfgrenze ritt er, stieg dann ab, setzte sich unter eine hohe Pappel und holte Tabakbeutel und einen Fetzen Zeitung aus der Tasche. Bedächtig drehte er sich eine dicke Zigarette, brannte sie an und grunzte wohlig. Der Rauch quoll ihm aus Mund und Nase.
Noch ein paar Minütchen, dachte er. Vielleicht auch eine halbe Stunde, wer weiß, wie die Pferdchen laufen. Wassja ist zwar ein guter Pferdezüchter, aber mit einer Troika kann er nicht umgehen. Immer kommt einer der Gäule aus dem Rhythmus und verwirrt die anderen. Das kostet Zeit. Aber was sind Minuten gegen die Jahre, die ich auf diesen Tag gewartet habe? Sadowjew lehnte sich gegen den Stamm der Pappel.
Sechs Jahre. Man soll nicht sagen, das sei keine lange Zeit. Sechs Jahre Angst: Wird sie es schaffen? Hält sie es durch? Oder kommt so ein Kerl daher, nimmt sie um die Hüfte, und weg sind alle Zukunftspläne, werden im Bett weggeschwitzt, und alles Hoffen war umsonst? Sechs Jahre immer die gleichen Fragen: »Wie lebt es sich in Chabarowsk? Lernst du gut?«
Sadowjew wischte sich über die Augen. Diese Erinnerungen, dachte er. Und dieses Glück! Verflucht, man muß weinen … es stürzt einfach aus einem heraus. Aber jetzt ist sie fertig, hat ihre Prüfungen bestanden, ist auf dem Wege nach Issakowa. Eine Ärztin … Meine Dunja eine Ärztin … Meine kleine Dunjuscha ein richtiger Doktor, der einen weißen Kittel tragen darf, sich zwei Gummischläuche in die Ohren klemmt und die Herzen abhört.
Sadowjew sprang hoch. In der Ferne quoll eine dünne Staubwolke auf. Er warf sich auf sein Pferd und jagte dem Punkt entgegen, der sich am Horizont
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