Heiß wie der Steppenwind
Marianka Jefimowna war betrunken, als Pjetkin sie auf ihr Zimmer brachte, von jener fröhlichen Trunkenheit, die kindisch macht.
»Zieh mich aus«, sagte die Dussowa. »Küß mich und deck mich zu. Mein Liebling … dein Gesicht ist wie eine dünne Wolke … Ich liebe die Wolken über den Wäldern und Flüssen …«
Pjetkin zog sie aus, deckte sie zu, küßte sie und verließ ihr Zimmer. Als er in sein Zimmer kam, blieb er an der Tür stehen, als sei er gegen eine Wand gelaufen.
Auf dem Tisch brannten zwei Kerzen, und zwischen den Kerzen lächelte ihn Dunja an.
Pjetkin stieß einen dumpfen Laut aus, wie ein Bär, den ein tödlicher Stich trifft. Er stürzte an den Tisch, fiel auf die Knie, riß das Foto an sich und drückte es an sein Gesicht. »Dunjuschka …«, stammelte er. »Dunjuschka, du bist zu mir gekommen. O Himmel, Himmel, ich überlebe es nicht …«
Er schwankte zum Bett, fiel der Länge nach auf ihm hin, vergrub das Bild Dunjas unter sich und weinte, wie er noch nie in seinem Leben geweint hatte.
S IEBENUNDDREISSIGSTES K APITEL
Am nächsten Tag erschien Marko Borissowitsch, um Pjetkin einen saftigen Weihnachtsbraten zu bringen. Stolz ging er durch das Lazarett, denn Leutnant Zablinsky hatte ihm eine Hundefelljacke und ein Paar Filzstiefel geschenkt. Marko revanchierte sich mit zwei dicken Leberwürsten und den Worten: »Ein junger Ehemann muß bei Kräften bleiben. So ein zwitscherndes Frauchen verlangt mehr, als die Natur zu bieten hat. Eß die Wurst, Brüderchen, aber zeige sie nicht dem Weibchen. Man kann solchen Vergleichen nie standhalten.« Leutnant Zablinsky lachte sich Tränen in die Augen. Dann nannte er Marko einen herrlichen Narren und eilte mit den Würsten unter dem dicken Uniformmantel weg zu seiner Wohnung.
Pjetkin empfing Marko mit düsterem Blick. Abwehrend betrachtete er ein flaches ledernes Etui, das Marko ihm brachte und das aussah wie eine Bildhülle. »Ich habe es eigenhändig genäht«, sagte Godunow. »Genau das Maß. Postkartengröße. Du kannst es an einem Bändchen um den Hals hängen.«
»Spricht hier jemand im Zimmer?« Pjetkin blickte sich suchend um. »Da war doch eine Stimme –«
»Söhnchen«, sagte Marko traurig. »Sei nicht böse, daß ich dich vor Weihnachten belogen habe.«
»Nein, ich habe von Dunja nichts mehr gehört und gesehen; nein, ich habe keine Ahnung, vielleicht operierte sie; nur eine Stunde habe ich Zeit, man muß sich sputen, die Fahrer warten nicht auf mich; ich habe keine Ahnung, was Dunja jetzt macht … Und mir hat es sieben Tage lang das Herz zerrissen, mein Hirn glühte, ich sah die Welt nur noch durch einen roten Schleier. Die Angst fraß mich auf …«
»Söhnchen –« Marko rang die Hände. Er hockte auf der Bettkante, ein zerknitterter Zwerg mit einem riesengroßen, runden kahlen Kopf. »Ich wollte dich überraschen. Ein wirkliches Fest sollte es für dich sein …«
»Wer hat Dunja fotografiert?«
»Ein Wanderfotograf. Das Bild hat mich drei Pfund Fleisch gekostet. Sieht sie nicht wie ein Engel aus, unsere Dunjuschka? Oberärztin ist sie drüben im Frauenlager. Endlich hat der Nichtskönner von Dobronin sie an die richtige Stelle gesetzt. Sie leitet die chirurgische Abteilung, und du solltest einmal sehen, was sie alles macht! So zart wie ein Täubchen, aber in den Händen so kräftig wie ein Mann. Die anderen Ärzte stehen um sie herum und bestaunen sie. Dobronin sitzt jeden Tag stöhnend an seinem Schreibtisch und stellt Listen zusammen, die Dunja verlangt: Neue Medikamente, moderne chirurgische Bestecke, einen neuen Narkose- und Beatmungsapparat, sogar einen Defibrillator hat sie angefordert. Als Dobronin protestierte, hat sie ihn angeschrien: ›Jawohl, ich will klinisch Tote wieder zum Leben zurückholen! Nicht, damit sie weiter in Workuta leiden, sondern damit sie überleben, um später von Workuta zu erzählen! Hier gilt jede Stimme!‹ Und Dobronin setzte sich hinter seine Liste und schrieb: Dringende Bestellung: Ein Defibrillator. – Betrachte ihr Foto genau … sie ist voll Kraft und Hoffnung, unsere Dunjenka.«
Pjetkin holte unter der Matratze das Foto hervor. Es war der einzige Ort, wo es sicher vor Marianka Dussowa war. Wie eine geheiligte Ikone trug er es zum Fenster und betrachtete es. »Wie ihre Augen leben …«, sagte er. »Sie sprechen zu mir.«
»Timbaski ist ein Künstler, man muß es ihm lassen«, sagte Marko. »Ich habe Dunja nie so schön gesehen wie auf diesem Bild.«
»Sie ist schöner, viel
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