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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und zusahen. Sie streichelte ihm über das Haar, und ihre Zärtlichkeit war so rührend, daß Pjetkin ihre Hände ergriff und küßte.
    Ich werde euch alle verraten, dachte er. Bin ich ein Schwein? Ich will zurück nach Deutschland … es ist der einzige Weg, Dunja zu heiraten. Gebt mir Dunja zurück, und ich falle auf die Erde und küsse sie und sage ›Mütterchen‹ zu ihr, aus reiner Seele heraus, denn ich fühle so …
    Baranurian trat zu ihm, als Marianka ihn losließ. »Denken Sie an Ihren Vater, Igor Antonowitsch. Er war nicht nur ein Held – er war ein großer Mensch, stolz auf seinen einzigen Sohn …«
    Pjetkin nickte und trat ins Zimmer.

N EUNUNDDREISSIGSTES K APITEL
    Der häßliche Mensch aus Moskau saß wieder in Baranurians Sessel, atmete vorsichtiger, um Igor Antonowitsch nicht gleich mit der Rassel in seiner Brust zu erschrecken, stand nicht auf, sondern musterte Pjetkin mit seinen wäßrigen Augen und legte die Hände über seinem Bauch zusammen. Pjetkin blieb in der Mitte des Zimmers stehen. Eine Weile betrachteten sie sich wortlos, wie zwei Wesen von verschiedenen Sternen, die sich irgendwo im luftleeren Raum treffen.
    Ein armer Mensch, dachte Pjetkin. Häßlich, verwachsen, mit einem Herzfehler. Zyanose. Er sollte sich gründlich untersuchen lassen. Wenn ein solcher Mensch die Welt und alle Geradegewachsenen haßt, kann es ihm keiner übelnehmen.
    Da steht er nun, dachte der Mann aus Moskau. Groß, blond, ausgedörrt, hohläugig, eine Zerrgestalt von dem, was er sein könnte. Die höchsten Ämter stehen ihm offen, die größten Ehren, er könnte eine Wohnung im besten Viertel der Stadt haben, eine Datscha am Schwarzen Meer, eine ordengeschmückte Brust, alle Privilegien der Spitzenfunktionäre … und wie steht er da? Eine Jammergestalt. Arzt in Workuta. Wenn er das Stethoskop in die Ohren klemmt, hört er die Teufel kichern … Welch ein dämlicher Mensch, dieses medizinische Genie!
    »Du siehst elend aus«, sagte der Häßliche plötzlich. Seine Stimme war ganz ruhig. »Verdammt elend siehst du aus. Wie damals, als wir uns zum erstenmal sahen … Du erkennst mich nicht mehr?«
    Pjetkin starrte den Mann an. In seinem Gehirn spulten die Jahre herunter … ein solches Bild war nicht dabei. »Nein.«
    »Überleg, Igor Antonowitsch.«
    Pjetkin durchwühlte seine Erinnerungen. Schöne Menschen vergißt man schnell, aber Häßlichkeiten wie diese bleiben haften. Hier aber war Leere in seinem Rückblicken. »Wer sind Sie, Genosse?« fragte er nachdenklich.
    »Die Jahre verwischen vieles.« Der Mann aus Moskau beugte sich vor, entkorkte die Flasche Wodka, goß zwei Gläser voll und winkte Pjetkin, zuzugreifen. Stumm tranken sie die Gläser leer … aber es half nichts. Pjetkin erinnerte sich nicht. »Es ist lange her«, fuhr der Häßliche fort. »Igor Antonowitsch … holen wir die Erinnerung aus den grauesten Tagen zurück. – 1945! Das Waisenhaus von Moskau. Ein ehemaliges Kloster. Kriegswaisen, deren Väter im Großen Vaterländischen Krieg von den Deutschen ermordet worden waren. Boris Igorowitsch Komorow, der Leiter der Anstalt … er ist übrigens im vorigen Jahr an Blasenkrebs gestorben. Komorow brachte dich zu uns in die Stube. Du warst ein kleiner, schmächtiger, ängstlicher Bursche, ein armseliges Körperchen, und du konntest nur ein paar Worte Russisch, aber dafür eine Menge auswendig gelernter Flüche. Ein Sanitäter hatte sie dir eingetrichtert. Wir lachten über dich, und wir begrüßten dich, wie man alle Neuen begrüßte. Zuerst werden sie klein gemacht, dann in den Kreis aufgenommen. Aber du warst damals schon etwas Besonderes, du hast dich gegen uns gewehrt, so dürr du warst, und du hast sogar dein Messer gezogen. Da kam Komorow ins Zimmer, nahm nicht dir das Messer weg, sondern ohrfeigte mich! Wir erfuhren, daß du Pjetkin heißt … Pjetkin, ein Russe, der kein Russisch spricht! Das haben wir lange nicht begriffen.« Der Mann aus Moskau beugte sich vor. »Na, erinnerst du dich, Igor Antonowitsch …?«
    Pjetkin nickte. Dunkel tauchte seine Jugend auf … wurde hell und strahlend, wie jetzt erlebt … natürlich, der Friedhof von Königsberg, die Eroberung der Stadt durch die Sowjets, Kapitän Pjetkin, der ihn mitnahm, seine Mutter suchte, ihn bis nach Berlin mitschleppte, ihn dann abgeben mußte. Der Lazarettzug, das Waisenhaus in Moskau, wo er ein Russe wurde, so vollkommen ein Russe, daß er nachher nur noch das harte Schuldeutsch sprechen konnte, wie man es auf sowjetischen

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