Heiß wie der Steppenwind
Gymnasien lehrte. Ach ja … das Waisenhaus der Kriegswaisen. Der kleine, krumme Kerl, der ihm gegenüber im Bett lag, der ihn beschimpfte, bedrohte, bespuckte und in einer Nacht das Foto des Majors Pjetkin – Igors Vater – zerriß und in den Lokus warf. Der häßliche Satan, mit dem er vier Jahre leben mußte, vier lange, immer mit Kampf ausgefüllte Jahre, bis man den krummen Teufel wegholte in eine andere Stube.
»Ich weiß jetzt, wer du bist«, sagte Pjetkin. »Du bist Jakow. Im Waisenhaus nannten wir dich ›Njelep‹, der Häßliche. Verzeih, daß ich den Namen wiederhole … er soll dir nur beweisen, daß ich dich jetzt wiedererkenne.«
»Njelep.« Jakow Andrejewitsch Starobin legte die Hände auf die Tischplatte. Froschhände … Pjetkin erkannte das erst jetzt. »Ich bin nicht schöner geworden.«
»Du hast Karriere gemacht. Leiter der Arbeits-Besserungslager in der Moskauer Zentrale.«
»Weniger Karriere als du, wenn du kein Idiot gewesen wärst.« Starobin legte die Hände auf seine Brust. Er hüstelte, wurde blau im Gesicht und rang dann nach Atem. Die Rassel in ihm schnarrte wieder. Besorgt beobachtete Pjetkin ihn, mit hochgezogenen Brauen, aber er rührte sich nicht aus der Mitte des Zimmers. Vorsicht, sagte er sich. Was will Njelep von mir? Ist es späte Rache? Will er seine Macht an mir demonstrieren? Die Macht Moskaus?
Starobin hatte sich erholt, nur das Stechen in der Brust blieb und bedrängte ihn mit einer merkwürdigen Angst. Eine Art Vernichtungsgefühl dehnte sich in ihm aus, das Gefühl, in einer Riesenzange zerquetscht zu werden.
»Ich war zu häßlich, um öffentlich herausgestellt zu werden«, sagte er heiser. »Mein Vater war ein Held wie dein Vater, meine Mutter eine Partisanin, die die Tapferkeitsmedaille erhielt. Ich wurde ein guter Kommunist, ich bemühte mich später um meine Fähigkeiten, entdeckte Intelligenz in mir und entwickelte große Talente in der Propaganda. Aber was nutzte das. Man konnte mich nicht als Repräsentanten des großen sowjetischen Volkes herausstellen, jeder sah das ein.« Starobin stützte den Kopf auf beide Fäuste und sah Pjetkin fast liebevoll an. »In all den Jahren verfolgte ich deinen Namen. Dein glänzendes Examen, deine Pankreasarbeit, deinen Wunsch, Herzchirurg zu werden, den Plan des Gesundheitsministeriums, dich als Assistenten zu Prof. Demichow zu schicken, den Weg einer unwahrscheinlichen Karriere … und plötzlich lese ich deinen verdammten Namen auf einer Transportliste. Zuerst Chelinograd. Ich studiere die Akten und sage mir: Welch ein Idiot! Welch ein von Gott verlassener Schwachkopf! Nun ist er verloren. Aber vielleicht wird er in Chelinograd vernünftiger. Doch nein, nein, – er wird noch verrückter! Ab mit ihm nach Workuta … ich habe es nicht verhindern können, aber ich habe dafür gesorgt, daß du als Arzt arbeiten konntest und nicht als Steinebrecher im Steinbruch. Ja, ich habe dich immer bewundert. Zu Weihnachten war ich milde gestimmt. Ich aß gut, trank grusinischen Wein und spielte mit den Kindern … du wirst es nicht glauben, aber sogar ich habe eine Frau bekommen, ein liebes Weibchen sogar, Ingenieurin für Radiotechnik, zwei Kinder hat sie mir geboren, und sie sind schön, verstehst du das, sie sind so schön gewachsen, gerade und ebenmäßig, daß alle Leute stehenbleiben, wenn ich mit ihnen spazierengehe, mein ganzes Glück sind sie, mein Stolz, der den Himmel einreißt … also, ich war zu Weihnachten bester Stimmung, denke wie so oft an dich und sage mir: Fahre nach den Feiertagen zu ihm nach Workuta. Sprich mit ihm. Mach etwas gut an ihm, die Zeit im Waisenhaus, wo ich ein Satan war. Erkläre ihm, daß ihm die Welt offensteht, wenn er nur einmal, ein einziges Mal den Kopf beugt und sich klaglos in den Hintern treten läßt. Nur einmal nachgeben, den Dickkopf spalten … mehr wollen wir ja nicht. Igor Antonowitsch, du willst ein Russe sein … man erkennt einen Russen daran, daß er klaglos dulden kann. Wir sind doch keine Unmenschen … wir warten auf deine Arbeit, wir wissen, was wir an dir haben, wir ahnen das Große, das aus dir kommen wird … nur, Igor Antonowitsch, benimm dich wie ein Sowjetrusse: Gehorche! Weiter nichts. Gehorche. Ist das so schwer?«
»Man hat mir gesagt, ich sei ein Deutscher.«
»Jetzt bist du es. Im übrigen ist das zu plump ausgedrückt. Man kann das mit einem Federstrich ändern. Für immer.«
»Und ich kann Dunja heiraten?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Jakow Andrejewitsch
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