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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Alkohol lag wie Dunst über ihren Augen.
    »Ich will nicht mehr, Baranurian, was hat das alles noch für einen Sinn? Wenn Igorenka weggegangen ist, werde ich wahnsinnig sein. Lächeln Sie nicht – ich bin eine schlechte Ärztin, aber so weit reicht meine Diagnosefähigkeit noch, um das vorauszusehen. Ich werde verrückt werden, ganz einfach verrückt.«
    Noch einmal versuchte es Baranurian mit seinen Freunden in Moskau. Er telefonierte, wie man sonst von Workuta in einem ganzen Monat nicht telefoniert hatte. Was erreichte er? Die Militärs konnten natürlich nicht helfen, und so vermittelte man ihn weiter, und er traf auf die Genossen, die schon von der Dussowa zur Verzweiflung getrieben worden waren. »Sie auch, Genosse Oberst?« schnauzte man ihn an. »Grassiert denn ein Bazillus in Workuta? Das Pjetkin-Fieber, was? Wir wünschen keinerlei Interventionen mehr in diesem Fall. Er ist abgeschlossen! Aber eines können wir wirklich tun: Sie von der Dussowa befreien.«
    Es ist erstaunlich, wie schnell Moskau arbeiten kann, wenn man die richtigen Leute anspuckt und in empfindliche Stellen tritt. Noch bevor Pjetkin abreiste, landete ein Flugzeug auf dem kleinen Militärflugplatz von Workuta, und eine Kommission des KGB stieg aus. Ein Major leitet sie, begrüßte Oberst Baranurian trotz des Rangunterschiedes steif und fast beleidigend und fragte kurz: »Wo ist sie?«
    »Im Krankenhaus, wo sonst?«
    Die Dussowa war auf alles vorbereitet. In drei Stunden verließ Pjetkins Zug Workuta. Marko war jetzt bei ihm und brachte ihm – geheim wie immer – die letzten Zeilen Dunjas. Pjetkin faltete den kurzen Brief zusammen und steckte ihn zu Dunjas Bild in den ledernen Brustbeutel, den er jetzt tragen konnte. Marianka rührte ihn nicht mehr an … sie war in dieser letzten Nacht wie ein Steppenbrand gewesen, und er hatte Angst bekommen, daß sie ihn zerreißt, zerfleischt. Gegen Morgen hatte sie geweint, war aus dem Bett gesprungen, hatte sich noch einmal in ihrer vollkommenen, herrlichen Nacktheit vor ihn hingestellt und gesagt:
    »Nimm dieses Bild mit, Igorenka … morgen ist es zerstört. Der Verstand tropft aus meinem Kopf wie der Schweiß aus den Poren.«
    Er hatte sie angesehen, lang und stumm, und er hatte wie Baranurian gelähmt ihren Blick erkannt, dieses Wachsen des Irrsinns aus dem Hintergrund ihrer Seele heraus. »Auch dich werde ich nicht vergessen«, hatte er heiser gesagt. »Du bist Rußland in seiner vollendetsten Gestalt –«
    Als sie aus seinem Zimmer ging, fiel auch ihr Leben zusammen. Nun saß sie da, bereit zum letzten großen Auftritt. Ein Untergang mit Blitz und Donner, wie es sich allein für eine Dussowa gehörte.
    Der Major aus Moskau, sein Name ist nicht wichtig, betrachtete Marianka aus bösen Augen. Sie erwiderte seinen Blick wie eine sprungbereite Katze.
    »Nur eine Frage –«, sagte er sehr hart. »Sind Sie total verrückt?«
    »Ja.«
    »Sie zwingen uns, therapeutische Maßnahmen anzuwenden. Wir werden Sie in eine ruhige Umgebung bringen, wo Sie sich erholen können.«
    »Wie zartfühlend Sie ein Irrenhaus umschreiben, Genosse.« Die Dussowa lachte dunkel. Es war wieder die Stimme, die streicheln und vernichten konnte.
    »Wir haben für bevorzugte Kranke Sanatorien. Bei Ihnen dachten wir an Sotschi.«
    »Eine Villa, mit Gittern an den Fenstern. Eine Hölle unter Palmen. Man sieht die Sonne und den Himmel, man hört das Meer rauschen und den Wind wehen, man riecht die Rosen und den angeschwemmten Tang … und doch ist man tot! Dahin wollt ihr mich bringen? O ihr Idioten!«
    Sie sprang plötzlich auf und schleuderte eine Blumenvase aus Glas an den Kopf des Majors. Er hatte keine Zeit mehr, sich zu ducken … voll traf sie ihn, zerschellte an seiner Stirn, riß sie auf, und das Blut überflutete im Nu sein Gesicht. Es war Mariankas letzte Tat. Vier Soldaten ergriffen sie, drehten ihr die Arme auf den Rücken und schleiften sie aus dem Zimmer.
    Sie lachte dabei, ihr wildes Gesicht war ein einziger lachender Schrei – eine zerplatzende, untergehende Sonne … Pjetkin vernähte die Schnittwunden des Majors … auch bei ihm war es seine letzte Handlung. Über seinen Reiseanzug – aus Workuta hatte Baranurian einen leidlich guten Anzug und einen Mantel besorgt – streifte er noch einmal den weißen Kittel und griff zu den atraumatischen Nadeln. »Sie werden kaum eine Narbe behalten, Genosse Major«, sagte er beim Nähen. »Vielleicht nur einen dünnen Hautstrich.«
    »Sie sind Pjetkin, nicht wahr?«

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