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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bildete.
    »Willkommen!« brüllte er, als die Troika mit dem Pferdezüchter Wassja hinter den Zügeln deutlich zu erkennen war. Er warf sein Filzkäppi in die Luft, fing es auf und vollführte mit seinem Gaul einen halsbrecherischen Galopp, umraste die Troika, daß man meinte, das Pferdchen fliege um sie herum wie ein riesiger Vogel, sprang dann in vollem Lauf aus dem Sattel, landete in der Troika neben Dunja und drückte sie in seine Arme.
    »Mein Töchterchen!« schrie er. »Mein Augapfel! Mein Leben!«
    Dann verließ ihn der Atem, er hustete, sein Kopf schwoll hochrot an, er krümmte sich und verdrehte die Augen.
    »Ab heute verbiete ich dir das Rauchen«, sagte Dunja. Sie küßte ihren nach Luft ringenden Vater auf die Stirn, holte aus seinem Rock Tabakbeutel und Zeitung und warf beides hinaus auf die Straße.
    Sadowjew streckte beide Hände nach den verlorenen Schätzen aus, aber die Troika hielt nicht an.
    »Das fängt ja gut an!« keuchte Sadowjew und ließ sich neben Dunja auf den fellbespannten Sitz fallen. »Sehr gut fängt das an! Habe ich dich dafür sechs Jahre studieren lassen?«
    In Issakowa fraß und soff man drei Tage lang. Ein Familienfest war's, denn irgendwie waren alle untereinander verwandt. Wen wundert's, daß jeder in Issakowa die Ärztin Dunja als sein Töchterchen betrachtete?
    *
    Auch Igor Antonowitsch hatte seine Examen bestanden, und alle mit Auszeichnung. »Der beste Medizinstudent seit Jahren in Kischinew«, lobte der Rektor der Universität und umarmte den stolzen Pjetkin. Und der Chirurg Rellikow fügte hinzu: »Man wird noch von Igor hören. In kurzer Zeit. Ich wette um jeden Preis, Anton Wassiljewitsch …«
    Pjetkin ließ ein Festessen anrichten, aber nur für zwei Personen. Allein saßen sie dann im Wohnzimmer und aßen stumm. Ein drittes Gedeck stand zwischen ihnen auf dem Tisch …
    »Sie ist bei uns«, sagte Pjetkin. »Nicht, daß ich an Gott glaube, an die unsterbliche Seele, an all diesen Blödsinn, den die Popen daherreden … aber wir kennen doch unsere Mamuschka. Sie ist bei uns … da bin ich ganz sicher.«
    Später gingen sie in die Oper, sahen das Ballett »Schwanensee« und bummelten nach dem Theater noch eine Stunde am Ufer des Bakul entlang, saßen auf einer der weißen Bänke und erlebten, wie mit dem Abendwind der Duft von den Weinhügeln und Obstgärten über das Land wehte.
    »Was sind deine Pläne, Igoruschka?« fragte Pjetkin.
    »Man wird uns Schwierigkeiten machen, Väterchen.« Igor griff in die Brusttasche und holte ein zusammengefaltetes Papier hervor.
    Erstaunt betrachtete Pjetkin den Bogen. »Was ist das?«
    »Ein amtliches Schreiben. Ich bekam es vor der Abschlußfeier ausgehändigt. Ein Mensch vom Gesundheitsamt der Stadt. Er drückte es mir in die Finger und verschwand wieselschnell. Nicht einmal nach seinem Namen konnte ich fragen.«
    »Und was wollte dieser Eisentopf?«
    »Ich habe dir bis jetzt nichts davon erzählt. Jetzt aber ist das Feiern vorbei.« Er entfaltete das Papier und reichte es seinem Vater.
    Pjetkin überflog die wenigen Zeilen, schnaufte durch die Nase und ließ den Brief fallen, als gehe er plötzlich in Feuer auf.
    »Unmöglich!« schrie er und schlug mit der Faust auf die Bank. »Das ist Schikane, reine Schikane! Diese Ratten in der Stadtverwaltung. Diese ausgeschabten Kürbisse! Aber sie kennen Pjetkin nicht! Meine Stimme dringt nicht nur von einer Wand zur anderen, sondern sie klingt bis nach Moskau. Ich werde Marschall Ronowskij anrufen, heute abend noch!« Er blickte auf seine Uhr, und Igor sah, wie sein Arm zitterte. »Nein, jetzt ist es zu spät. Aber morgen früh … Nach Sibirien! Mein Sohn nach Sibirien! Als Assistent des Distriktarztes! Nach … wie heißt dieses Nest noch mal –«
    »Blagowjeschtschensk –«
    »Niemand kennt diesen lausigen Flecken.«
    »Es ist eine Stadt am Amur.«
    »Eine Stadt sogar? Vier Häuser mit einem Scheißhaus dahinter … weiter nichts.«
    »Und einem Arbeitslager mit viertausend Sträflingen.« Igor hob das Papier vom sandigen Boden und faltete es wieder zusammen. »Ich habe mich erkundigt … es gibt keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Der Befehl kommt aus Moskau. Als ich mit dem Leiter der medizinischen Planung sprach, sagte er mir: ›Was wollen Sie eigentlich, Genosse Pjetkin? Hat der Staat nicht Ihr Studium bezahlt? Hat der Staat nicht erst einen Menschen aus Ihnen gemacht? Und jetzt, wo Sie Arzt sind, wollen Sie diesen Staat in den Hintern treten? Welche Manieren sind das?

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