Heiß wie der Steppenwind
Fangen Sie nicht gleich zu Beginn Ihres wirklichen Lebens Stunk an, ich warne Sie! Man gibt Ihnen eine ehrenvolle Stellung … Arzt in einem jungfräulichen Land. Das ist eine Auszeichnung … und Sie sehen es als eine Verbannung an? Lieber Genosse Doktor, es ist nie gut, wenn ein Name in einer Kartei rot unterstrichen wird … und noch ist Ihr Name nicht unterstrichen …‹«
Pjetkin preßte die Lippen zusammen und atmete stoßweise durch die Nase. Er kannte die Sprache Moskaus genau, er hatte sie selbst gebraucht, wenn es notwendig gewesen war … aber ein Unterschied ist's, ob man selbst spricht oder angesprochen wird.
»Marschall Ronowskij …«, sagte er dumpf. »Er muß helfen.«
»Ronowskij ist alt. Aber ich bin jung. In ein paar Jahren ist er tot … aber mein Name wird einen roten Strich haben.« Igor erhob sich und ging vor der Bank hin und her. »Das ist die Quittung.«
»Wofür?«
»Für Mamuschkas Tod. Für meinen Zeitungsartikel gegen die Stadtverwaltung.« Er blieb vor Pjetkin stehen und hatte plötzlich Mitleid mit dem Mann, der seine grauen Haare durchwühlte und keinen Ausweg mehr wußte. »Aber ich bin kein Mensch, der einen Maulkorb trägt. Ich werde nach Sibirien, an den Amur fahren und dort meine Pflicht tun. Du wirst es bestimmt nicht glauben … aber ich freue mich sehr auf die Taiga.«
Pjetkin sprang von der Bank. »Erst kämpfen wir!« brüllte er so laut, daß einige ferne Spaziergänger erschrocken stehenblieben und zu ihnen hinstarrten. »Wann sollst zu fahren?«
»In drei Wochen.«
» Ich werde mich auf die Gleise stellen … vor den Zug … in voller Uniform!« Pjetkin war außer sich und schlug mit den Armen um sich.
»Der Krieg ist lange her, Vater«, sagte Igor beruhigend.
*
Es stellte sich heraus, daß Igor den richtigen Geruch aufgenommen hatte. Pjetkin rief Marschall Ronowskij an, aber schon am Mittag wußte er, daß der Marschall gar nichts in dieser Sache unternehmen konnte. Auch einige Freunde in den verschiedenen Ministerien wichen aus und benahmen sich wie eine gekitzelte Jungfrau. Sein letzter Versuch, mit dem Minister für Gesundheitswesen selbst zu sprechen, scheiterte schon am Vorzimmertelefon. Dort saß eine junge Genossin, hörte sich den Namen Pjetkin an, war überhaupt nicht ergriffen, daß ein Oberstleutnant mit ihr sprach, fragte nach den Wünschen, hörte, daß es eine Beschwerde sein sollte und unterbrach wortlos die Leitung.
Pjetkin tobte, warf das unschuldige Telefon an die Wand und fuhr zum Bürgermeister von Kischinew.
»Haben wir einen Krieg gewonnen, um uns jetzt dem Beamtenterror zu beugen?« brüllte er schon im Flur. »Sollen wir in der Willkür ersaufen?«
Man hörte ihm geduldig zu, ließ ihn austoben und zuckte dann mit den Schultern. Pjetkin spürte, daß sein Ansehen gelitten hatte, daß man wußte, sein Draht nach Moskau verrostete.
Logisch handelte in diesen Tagen nur der Zwerg Marko Borissowitsch Godunow. Als die Versetzung Igors nach Sibirien amtlich und nicht mehr rückgängig zu machen war, ließ er sich in der Universitäts-Verwaltung melden und kündigte.
»Ich gehe«, sagte er, knallte die Schlüssel von Anatomiesaal und Leichenkeller dem Beamten auf den Tisch und spuckte gezielt an dessen Kopf vorbei gegen die Wand. »Dreißig Jahre lebe ich jetzt mit den Leichen, rolle sie sauber gewaschen in die Anatomie und bekomme sie zerschnitten wieder zurück. Jede Woche einmal verbrenne ich Leichenteile … Dreißig Jahre lang, Genossen, für einen Lohn, der eine Schande für alle Werktätigen ist. Und nie ein Wort des Dankes, kein Händedruck, keine Anerkennung. Bin für euch wohl selbst eine Leiche, was?«
Er hauchte den Beamten an, was zur Folge hatte, daß dieser aufsprang und in die Ecke rannte.
»Lassen Sie das, Marko Borissowitsch!« kreischte der arme Mann. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Meine Kündigung.« Der Zwerg zeigte auf die Akten und Papiere. »Ich will eine richtige Kündigung, in einer Stunde hole ich sie ab. Ist sie nicht fertig, lege ich Ihnen einen aufgeschnittenen Unterbauch auf den Tisch!«
So kam Marko zu seiner Entlassung und erschien fröhlich mit einem Reisesack in der Wohnung Pjetkins.
»Es ist alles geregelt«, sagte er. »Ich stehe zur Verfügung. Was kann ich tun? Wo kann ich anfangen?«
»Beruhige meinen Vater«, sagte Igor dumpf. »Er läßt sich von mir nicht helfen. Wenn es so weitergeht, lassen wir einen Irren zurück …«
Man soll es nicht glauben … aber Marko schaffte es. Als
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