Heiß wie der Steppenwind
Wolgawagen um West-Berlin herum nach Potsdam. Sie waren ganz allein, Plochow lenkte das Auto, und er sprach mit Pjetkin russisch, was diesem gut tat, obgleich Plochow ihn Kramer nannte.
»Wenn Sie jetzt noch Pjetkin sagen, sind Sie mein Freund, Genosse Major«, sagte Pjetkin nach zehn Minuten Fahrt.
Plochow lächelte breit.
»Ihnen zu Gefallen … also: Pjetkin. Bis Potsdam … dann sind Sie wieder Kramer.«
Sie fuhren schnell, durch ein Land, das von Stunde zu Stunde in den Frühling hineinblühte. Waren bei der Abfahrt in Pankow die Knospen noch geschlossen, leuchteten in Potsdam bereits verschwenderisch die Kelche der Magnolien. »Sie kennen Ihre Aufgabe genau?«
»Ja.«
»Und keine Eile, Igor Antonowitsch. Fuß fassen, Vertrauen gewinnen, einschleichen … das ist ein verdammt langsames Tempo.«
»Und Dunja? Starobin hat gesagt, daß zwei Jahre das äußerste sind, die ich warten muß.«
»Dunja Dimitrowna ist schon auf dem Weg nach Leningrad.«
»Ich könnte Sie umarmen, Genosse Major.« Pjetkin lehnte sich zurück … nach Tagen war er wieder glücklich. »Wann darf sie ausreisen zu mir?«
»Nach den ersten drei Meldungen aus dem Bundesnachrichtendienst, die Sie uns liefern. Keine sauren Gurken, Pjetkin … richtige Meldungen. Starobin hat schon den Weg für Dunja ausgesucht, den schnellsten.«
»Über die Tschechoslowakei, ich weiß es.«
»Das sollte Sie anspornen und gleichzeitig warnen. Bloß nichts überstürzen. In Westdeutschland wird sich einer unserer Genossen an Sie wenden und Sie ausrüsten, anlernen, die Kontakte zu knüpfen.« Plochow blickte schnell zur Seite und dann wieder auf die Straße. »Wissen Sie, daß ich gegen diesen Plan war? Er hat zu viele Fehlerquellen! Spionage – oder nennen wir es zarter Nachrichtendienst – ist ein hartes Geschäft. Nichts für Träumer. Die Leute, die wir im Westen ansetzen, haben eine Schule hinter sich, die ihnen das Fell vom Hintern zog. Sie aber kommen daher, randvoll mit Ideen, ein sauber gewaschenes Ferkelchen, so unschuldig, und sollen die ganz große Aufreißharke werden. Ich gebe zu, das ist neu, das ist so verblüffend genial, daß die deutsche Abwehr nie auf diesen Gedanken kommt … aber das Risiko ist ungeheuerlich. Sie sind der Typ des Anti-Spions. Und Sie tun es auch nur, um Dunja zu bekommen. Ist es so, Igor Antonowitsch?«
»Genau so, Major Plochow.«
»Und hier liegt der Fehler. Sie können nicht mehr zurück … wissen Sie das? Hat Ihnen Starobin das auch gesagt? Nach der ersten Nachricht sind Sie für immer mit uns verbunden … ob in Bonn, München, Tokio oder New York. Pjetkin, träumen Sie nicht.«
»Ich weiß, was mich erwartet.«
»Nicht jetzt … auch, wenn Dunja bei Ihnen ist!«
»Warum sagen Sie das, Plochow? Sie sprechen gegen Ihre eigene Dienststelle.«
»Ich habe Angst, daß Sie umkippen, Igor Antonowitsch. Es hängt zu viel an Ihrem Auftrag, und zu viele Mitarbeiter können hineingerissen werden. Das will ich verhindern. Ich mache Ihnen Angst, ganz bewußt Angst, damit Sie noch jetzt auf der Fahrt zum Bahnhof Potsdam Nein sagen.«
»Und Dunja?«
»Bleibt in Leningrad als freie Ärztin, das versprechen wir. Ich bin vielleicht der einzige, der bei Ihnen Komplikationen sieht – alle anderen, vor allem die in Moskau, sind von dem Plan begeistert, Sie als große Nummer in den Bundesnachrichtendienst zu schleusen. Ich nicht. Verzichten Sie auf Dunja …«
»Sprechen Sie nicht weiter, Plochow.« Pjetkin hob beide Hände an die Ohren. »Jedes Wort belastet unnötig Ihren Kehlkopf.«
»Gut … aber wenn Sie später abspringen wollen, jagen wir Sie um die ganze Erde, bis wir Sie haben! Dann stürzt der Himmel auf Sie, Pjetkin.«
»Ich weiß es. Ich habe gelernt, in der Hölle zu leben.«
Das war am Morgen gewesen … ein paar Stunden später stand Pjetkin vor einem Haufen Fotografen und beantwortete Fragen in einen Wald von Mikrophonen. Zwei Männer des Bundesnachrichtendienstes warteten abseits, bis die Interviews beendet waren. Drei Helfer des Roten Kreuzes umstanden ihn mit Bechern heißen Kaffees und Broten mit Schmierwurst, als käme Pjetkin aus der Wüste. Der Zug war längst weitergefahren. Für Pjetkin würden jetzt die beiden abseits stehenden Männer sorgen. Die Kameras klickten – wie in Ost-Berlin –, das Fernsehen surrte.
Die gleichen Worte, nur jetzt, in westdeutscher Version, mit anderem Klang, anderem Sinn: »Ich bin glücklich, wieder in der Heimat zu sein. Ich bewundere das neue Deutschland.
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