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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verschwinden in der Weite Rußlands, ein einsamer Zwerg, der von der Erinnerung lebte wie ein Biber von seinen Wintervorräten.
    In dieser Nacht überflutete die Traurigkeit den schluchzenden Marko. Er war wie ein Vater, der heimlich um seinen Sohn weinte.
    Am Morgen aber erfaßte ihn wieder der Tatendrang, er frühstückte gut und ließ sich von dem Portier des Hotels, mit dem er mühsam englisch sprach, einige Adressen geben. Jeder kennt die Berufe, zu denen sich niemand drängt und die auch überall unter Nachwuchsmangel zu klagen haben. Nennen wir nur einige: Totengräber, Müllfahrer, Straßenkehrer, Leichenwäscher, Sargträger, Kanalreiniger. Es sind ehrbare Tätigkeiten, gewiß, und wo kämen wir hin, wenn keiner die letzten Löcher gräbt oder man den Müll einfach liegen läßt … dennoch machen selbst die Hungrigsten einen Bogen um diese Arbeiten, schleppen im Hafen lieber Kisten, reißen Straßen auf oder mischen Zement mit Sand zusammen.
    Marko suchte eine Tätigkeit, die ihn unentbehrlich werden ließ, unauffällig, unsichtbar.
    Den ganzen Vormittag verbrachte er damit, sich bei den Personalleitern vorzustellen. Aber auch Finnland ist nicht so schnell zu erobern – wie überall war das Gesetz gegen Marko. Es begann bei der Stadtverwaltung. Als man hörte, ein Russe bewerbe sich um eine Stelle als Straßenfeger, Müllbeseitiger oder Totengräber, erschien der Direktor dieses Behördenzweiges persönlich, um diese Seltenheit zu betrachten. Nach finnisch-russischem Herumtasten einigte man sich, die Unterhaltung in Englisch zu führen, und die verlief so: »Sie wollen bei uns arbeiten?«
    »Ja. Ich nehme jede Arbeit an.«
    »Sie sind aus Rußland ausgewandert?«
    »Nein.«
    »Politischer Flüchtling?«
    »Nein.«
    »Sie wollen noch um politisches Asyl nachsuchen?«
    »Ich denke nicht daran.«
    »Was sind Sie dann?«
    »Ich bin Tourist.«
    »Mein lieber Mann, wir können doch keine Touristen anstellen! Für vierzehn Tage oder drei Wochen …«
    »Ich will länger bleiben.«
    »Auch vier Wochen geht nicht.«
    »Es kann ein Jahr dauern …«
    »Dann sind Sie also doch Flüchtling?«
    »Nein.«
    »Wenn Sie ein Jahr in Finnland bleiben, haben Sie doch Rußland verlassen.«
    »Nicht für immer.«
    »Besitzen Sie eine sowjetische Arbeitserlaubnis für Finnland?«
    »Nein.«
    »Also politisches Asyl! Sie müssen sich bei der Einwanderungsbehörde melden.«
    »Ich will Müll kehren oder Tote begraben. Weiter nichts. Ich will arbeiten. Warum kann ein freier Mensch in einem freien Land nicht Tote begraben? Oder Straßen fegen? Oder sonst etwas tun? Warum muß alles erst politisch sein?«
    Nach einer Stunde wußten beide, daß es keinen Weg zueinander gab. Es ist eben auf dieser Welt nicht möglich, daß jemand irgendwohin geht und sagt: Hier will ich bleiben und etwas tun. Wo man auch hinkommt – überall ist ein Gesetz da, in das man hineingepreßt wird wie in ein Korsett aus Stahl. Marko versuchte es bei den Privatunternehmern. Und siehe da … es gab in einer kleinen Seitenstraße ein Beerdigungsinstitut, das sich »Pietät« nannte und dessen Besitzer, ein fetter Mensch mit Dreifachkinn, sogar russisch sprach.
    »Vom Karelienkrieg her«, sagte er stolz. »Ich war Feldwebel. Als ich die vielen Toten sah, dachte ich mir: Das wäre nachher im Frieden ein Beruf. Würdig unter die Erde … das vermißt man im Krieg und lernt die Hinterbliebenen verstehen, die es besonders feierlich haben wollten. Doch nun zu Ihnen. Sie wollen arbeiten? Alles? Als untergetauchter Russe? Mein Lieber, das ist für uns beide ein Risiko. Ich darf Sie nicht beschäftigen und verstecken, Sie dürfen nicht hier im Lande bleiben über drei Monate hinaus. Was machen wir da?«
    »Beschäftigen Sie mich im Innendienst«, antwortete Marko. »Ich habe in Workuta-Stadt als Hochzeits-Arrangeur gearbeitet … warum soll ich jetzt nicht Tote aufbahren? Ob ich Schwiegermütter tröste oder Erbanwärter – es kommt nur auf die richtigen Worte an. Versuchen Sie es mit mir. Und wenn Sie kein Zimmerchen für mich haben – ich schlafe auch im Sarglager. Ich habe sogar schon hinter Knochenhaufen gewohnt.«
    Vaiiko Halunääin, so hieß der Besitzer von ›Pietät‹, überlegte sich zehn Minuten lang die Sache, dachte an seine Personalknappheit und überwand die Bedenken, etwas Strafbares zu tun.
    »Fangen Sie morgen an«, sagte er. »Ich werde Sie den anderen Mitarbeitern als einen Bekannten aus Karelien vorstellen, aus dem jetzt sowjetischen Karelien.

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