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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Braut blond oder dunkelhaarig?«
    »Spielt das eine Rolle beim Schleier?«
    »Es gibt zarte Typen und massive, helle und dunkle. Nicht alle können alles tragen. Es muß zueinander passen. Wie ist sie nun?«
    »Blond und zart.«
    »Dann nehmen Sie den.« Die Verkäuferin warf einen Schleier über ihre Hände und Arme. Wie gesponnener Schnee rieselte er herunter. Weiße Rosenblüten, die im Winde schaukeln. »Er ist unser bester. Zehn Rubel das Meter. Soll es ein langer Schleier werden?«
    »Ganz lang, Genossin.«
    »Es sieht auch am schönsten aus. Aber wir können Ihnen nur ein Meter geben, Genosse.«
    Mit seinem Paket unterm Arm kam Pjetkin ins Lager zurück. Bereits draußen bei den Wachbaracken und der Kommandantur überfiel Pjetkin ein unruhiges Gefühl. Der stellvertretende Kommandeur, ein Kapitän, der an der Hauswand saß und sich mit nacktem Oberkörper sonnte, fettglänzend und wohlgenährt, sprang sofort auf, als er Pjetkin sah und eilte auf ihn zu.
    »Endlich, Doktor!« rief er schon von weitem. »Keiner wagt sich mehr durchs Tor. So schlimm war's noch nie. Wissen Sie, was eine rasende Megäre ist? Denken Sie nicht an die griechischen Sagen … gehen Sie ins Lager und erleben Sie, wozu ein Weib, ein verdammtes Teufelsweib, fähig ist!«
    Auch der Torposten war fast versucht, Pjetkin zu umarmen, stieß das riesige Holztor auf und zeigte stumm hinein. Auf dem Appellplatz standen in Dreierreihen alle Kranken. Nicht nur die Ambulanten aus den Baracken, auch die schweren Fälle aus dem Krankenhaus. Vor ihnen lagen auf Strohhaufen die Bettlägerigen, die Operierten, die Sterbenden und Hoffnungslosen, die Glücklichen, die ein Bett mit dem Einsatz ihres Lebens erobert hatten, die Seligen, die warm und weich diese Erde verlassen durften. Sie alle standen oder lagen in der prallen Sonne, die jetzt röter und dicker in den Strahlen wurde, fettgefressen an einem glutenden Tag.
    Um nicht umzufallen, hatten sich die Kranken untergefaßt. So bildeten sie eine in sich verkrallte Mauer, die leicht schwankte wie Gras im aufkommenden Wind. Aber sie stürzte nicht um. Vier Obmänner, Kriminelle aus dem Gefängnistrakt, umkreisten die Elenden und warteten nur darauf, daß jemand aus der Reihe brach. Sie hielten dafür dicke Knüppel bereit.
    Pjetkin trieb es Tränen in die Augen, als er langsam seine Kranken abschritt, eine schreckliche Parade, das elendeste Spalier dieser Welt. Domskaneff war gestorben, er hatte Gallensteine gehabt und hoffte, nach der Operation zu seiner Frau und seinen fünf Kindern entlassen zu werden. Nun lag er auf einem Flecken ausgebreiteten Strohs im Sand, und die Abendsonne leuchtete rot in seine gebrochenen Augen. Und da lag auch Schmerowski, Schmied aus Perm, ein Bulle von Kerl, der plötzlich umgefallen war und in sechs Monaten fünfzig Pfund Gewicht verlor. Marianka Dussowa hatte sich nicht um ihn gekümmert. »Er war immer zu fett«, war ihre einzige Diagnose. »Jetzt wird er normal.«
    Pjetkin hatte ihn gründlich untersucht und ein Pankreas-Karzinom festgestellt. Zur Operation war es zu spät, und wer hätte auch hier eine Pakreasektomie ausgeführt? Vielleicht das Krankenhaus in Chabarowsk. Aber da hätte man nie ein Bett für den Verbannten Schmerowski bereitgestellt.
    »Meine Kinder …«, sagte Pjetkin. Wut und Ergriffenheit schnürten ihm die Kehle zu. »Ich verspreche euch, daß ihr wie Menschen behandelt werdet.«
    Die Arbeitsbrigaden der Holzfäller, Sägewerkarbeiter und Straßenbauer waren noch nicht ins Lager eingerückt – bis auf den Innendienst waren die Baracken leer. Pjetkin sammelte die Abkommandierten, zeigte auf Baracke Nr. 4, die am nächsten stand, und befahl: »Umräumen! Alles raus! Zehn Freiwillige zum Schrubben! Man muß von der Erde essen können, Brüder!«
    Die Innendienstler standen wie ein Block vor Pjetkin und rührten sich nicht. Sie begriffen nicht, was hier vorging. Sie wußten nur eins, und das ließ sie mit dem Boden unter sich verwachsen: Hier geschieht Ungeheures. Auf unseren Rücken. Die Kosten werden wir bezahlen, mit Schmerzen und Erniedrigungen. Die immer aktuelle Frage in allen Lagern: Wer ist hier der Stärkere?, war noch nicht gelöst. Die Macht der Dussowa war ungebrochen, das hatte man gesehen. Im Abendrot standen zweiundneunzig Kranke, lagen siebenundzwanzig Operierte, Aufgegebene, Sterbende, Hoffende, Gutgläubige, Stumpfsinnige, heimlich Betende. Sie lagen und standen dort in der Lagermitte seit neun Stunden.
    »Ihr habt Angst«, sagte

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