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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Pjetkin, als sich keiner rührte. »In euren Augen liegt sie, ihr könnt keinen Vorhang darüber ziehen. Habt ihr kein Vertrauen zu mir?«
    »Was nützt es, Genosse?« Ein alter Mann schob sich aus der Reihe vor. Er war kurzsichtig, blinzelte mit zusammengekniffenen Augen und sprach das gepflegte Russisch der Leningrader. »Sie bleiben vielleicht ein Jahr, wir aber zehn oder zwanzig, auf jeden Fall so lange, bis wir verrecken. Das ist doch kein vernünftiges Verhältnis. Sprechen Sie erst mit der Genossin Dussowa und dem Kommandanten, Doktor Igor Antonowitsch.«
    »Wenn ihr Angst habt, verliert ihr auch eure Ehre«, sagte Pjetkin eindringlich. Er verstand die Männer, denn man hatte sie ja deportiert und in das Lager gepfercht, weil sie einmal, irgendwo in einem anderen Leben, Widerstand geleistet hatten.
    »Unsere Ehre haben wir in der Entlausung abgegeben«, sagte der alte Mann bitter. »Und im übrigen … wo sollen wir die Sachen aus Nr. 4 denn hintragen? Alle Hotelzimmer sind belegt.«
    »Wir verteilen Sie auf das Magazin, die Küchenbaracke und die Bäckerei. Ist es nötig, daß die Köche und Bäcker jeder ein Einzelzimmer bewohnen? Zimmer, in die man zehn Menschen stecken kann? Und das Magazin … eine ganze Halle steht da leer, nur ein paar Kisten liegen herum!«
    Pjetkin redete sich in eine furchtbare Begeisterung. Sein Kopf glühte. Was er sagte, war normalerweise zwanzig Jahre Deportation wert, war eine zersetzende Kritik an staatlichen Einrichtungen, war Auflehnung gegen eine Ordnung, die durch ein Heer von Beamten geschützt wurde.
    »Ihr seid hier in diesem Lager, um umerzogen zu werden. Recht sollt ihr lernen, gesundes Volksempfinden, Selbstreinigung!« Pjetkin war wie von Sinnen. Er schrie die Worte aus sich hinaus, und sie klatschten aus seinem Mund wie ausgespuckte Schleimbrocken. »Wir nehmen uns unser Menschenrecht! Schleicht euch auf eure Pritschen, ihr Feiglinge … geht doch, geht … hockt euch hin, fangt Flöhe und wartet auf den Jüngsten Tag!«
    Er rannte als erster in die Baracke Nr. 4, ergriff ein Bündel Kleider, preßte es an die Brust und lief hinüber zur Bäckerei. Es war, als bräche ein Damm. Mit wildem Geschrei stürmten die Sträflinge die Baracke, rissen die Sachen der Arbeitskommandos an sich und stürmten das Magazin, die Küche und die Bäckerei. Andere trugen die Schwerkranken zurück ins Lazarett und legten sie wieder in ihre alten Betten.
    Von den Wachtürmen schrillten die Alarmglocken. Die beiden Tore wurden besetzt, die Patronengurte durch die Maschinengewehre gezogen.
    Aufstand im Lager. Die Kerle gebärden sich wie Verrückte. Die Natschalniks flüchteten zum Tor, die Obmänner drückten sich flach an die Wände und verhielten sich still, die »Hündinnen« hielten die Augen offen, merkten sich Namen und was diese Namen taten.
    Marianka Jefimowna stand am Fenster ihres Zimmers und betrachtete mit starrem Gesicht Pjetkins wahnwitziges Werk. Noch hätte sie eingreifen könnten, zum erstenmal mit Vernunft, aber sie rührte sich nicht aus dem Zimmer. Igor Antonowitsch hatte das Heiratsaufgebot bestellt … das war ein Graben, den sie nicht mehr überspringen konnte. Und wenn die Welt untergeht, dachte sie jetzt, ich rühre keinen Finger. Es war ihr klar, daß man auch sie zur Verantwortung ziehen würde, sie war die Leiterin des Krankenhauses und Pjetkin nur ihr Stellvertreter, aber das schreckte sie nicht. Sie war an der Grenze ihrer Lebensfähigkeit angelangt … sie gab sich auf und wollte ihre Umwelt mitreißen.
    Marko, der Zwerg, hatte mehr zu tun, als er leisten konnte. Er verteilte die Bettlägerigen nicht nur wieder auf ihre Zimmer, er trieb auch Russlan und einen anderen Kriminellen, einen Kinderschänder, den Krankenpfleger Nummer 2, mit einer kleinen Peitsche vor sich her. »Voran! Voran!« brüllte Godunow und hüpfte zwischen den Kranken herum wie ein Frosch.
    Die Umräumung dauerte keine Stunde. Baracke Nr. 4 wurde das neue Durchgangslazarett. Ein großes, schnell auf Pappe gemaltes Schild hing bereits über der Tür. Krankenstation II. In der Halle des Magazins baute der Innendienst neue Pritschen auf. Die Zimmer der Bäcker und Köche wurden umfunktioniert. Jetzt wohnten sechs Köche in einem Raum und hatten noch immer Platz genug.
    Währenddessen hatte der Kommandant eine außerordentliche Sitzung einberufen. Der zivile Lagerleiter, die Köche und Bäcker, der Magazinverwalter, der Werkstattleiter und der Vorsteher des Zentralbüros drängten sich in dem

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