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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Durchsage an die Fluggäste für die Verspätung entschuldigt und gleichzeitig betont, dass die Maschine aufgrund von starkem Rückenwind dennoch pünktlich in Delhi ankommen würde.
    Doch John Finch war mit seinen Gedanken ganz woanders. Er überlegte, am Flughafen Indira Gandhi nach seiner Ankunft am Vormittag gleich wieder den ersten Flug zurück nach Kairo zu buchen. Der Plan, den Llewellyn ausgeheckt hatte, war reiner Wahnsinn. Er konnte einfach nicht funktionieren. Dazu gab es zu viele Risiken, tausend Kilometer voller möglicher Zwischenfälle. Jetzt wurde Finch klar, warum der Major ihn ausgesucht hatte. Kein normal denkender Mensch würde Llewellyns hirnverbrannte Strategie auch nur in Betracht ziehen, geschweige denn seinen Plan in die Realität umsetzen.
    Finch lehnte dankend das Glas Champagner ab, das ihm die Stewardess anbot. Ein benebelter Kopf war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte. Schlafen hatte Vorrang.
    Als nach dem Start das »Bitte anschnallen«-Zeichen erlosch, verwandelte Finch seinen Sitz in ein Bett und streckte sich aus. Bevor er die Decke hochzog und einschlief, durchdachte er immer wieder Llewellyns Plan. Von welcher Seite auch immer er es betrachtete, eines reizte ihn daran: Er war so irrwitzig, dass er schon wieder funktionieren könnte.
     
     
    Als Fiona Klausner zum dritten Mal seit einer halben Stunde versuchte, John Finch anzurufen und zum dritten Mal auf seiner Mailbox landete, schnitt sie eine Grimasse. Typisch, dachte sie und begann, ihren Koffer zu packen. Erst ist alles so dringend, und dann ist der Held nicht zu erreichen …

Montag, 13 . Mai 1935 , Clouds Hill, Dorset/Großbritannien
    Der Mann, der aus dem weißen schmalen Haus mit den blaugrün gestrichenen Fenstern und dem bemoosten Dach unweit der großen Bowington-Militärkaserne trat, war schmächtig und klein. Er mochte Mitte vierzig sein, mit dichtem blondem Haar über einer hohen Stirn und forschenden blauen Augen, die ein wenig misstrauisch, oft auch melancholisch in die Welt blickten.
    Fast mechanisch sah er hinauf zu dem tiefblauen Himmel, an dem nur ein paar Schönwetterwolken zu sehen waren. Es würde ein schöner Nachmittag ohne Regen und Gewitter werden. Doch mit seinen Gedanken war er ganz woanders. Der Brief, den er heute Morgen von seinem Freund Henry Williamson erhalten hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Williamson, ein bekannter Schriftsteller, hatte sich, desillusioniert von seinen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg und den Entwicklungen der Nachkriegszeit, den britischen Faschisten unter Sir Oswald Moslay angeschlossen und in der Partei Karriere gemacht. Die Einladung zum gemeinsamen Mittagessen, die der Postbote vor wenigen Stunden in das Cottage in Clouds Hill gebracht hatte, kam seinem Bewohner gerade recht. Wie viele seiner Zeitgenossen in England, aber auch in Europa, war er enttäuscht vom politischen Geschehen nach der Konferenz von Versailles. Seine Träume, für die er gekämpft und getötet hatte, waren seit langem geplatzt. Vielleicht hat Williamson ja recht, dachte er, und die treibende Kraft der neuen Zeit saß in Berlin.
    Er zog die Tür des kleinen Hauses mit den niedrigen Decken zu, das er vor Jahren gemietet und schließlich gekauft hatte, und überlegte für einen kurzen Moment abzuschließen. Dann verwarf er den Gedanken wieder. Das hier war nicht London, sondern tiefste englische Provinz. Außerdem besaß er keine Schätze. Was sollte man bei ihm schon stehlen? Und das Wissen in seinem Kopf, das konnte ihm niemand nehmen. Er ganz allein würde darüber entscheiden, mit wem und ob er es je teilen würde. Vielleicht mit dem neuen deutschen Kanzler?
    Sollte er tatsächlich mit Hitler zusammentreffen?
    Für einen Augenblick huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Sicher ein verlockender Gedanke. Die Einladung nach Berlin lag bei Moslay, und Williamson würde sie ihm morgen beim Mittagessen übermitteln.
    Der Führer wollte ihn sehen.
    Es war warm, und der Frühling schien endlich auch England erreicht zu haben. Der perfekte Tag, um seine geliebte Brough Superior aus der Garage zu holen, dachte der Hausherr und verzichtete darauf, den kurzen Ledermantel zu nehmen. Stattdessen schlüpfte er in eine Jacke, ging um das Cottage herum und rollte geschickt die mächtige Maschine aus ihrem Verschlag. Es war das siebte Motorrad des bekannten englischen Herstellers, das er in den vergangenen zwölf Jahren gekauft hatte. Tatsächlich war er einer von Broughs bekanntesten und besten Kunden.

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