Heiß
Meilen, Tendenz steigend. Doch dann sah Shaw weiter vorne zwei Fahrradfahrer, die auf seiner Seite der Straße nebeneinander gemächlich dahinrollten und bremste fluchend ab. Dahinter lag eine der Schikanen, und ein paar Büsche versperrten den Blick auf eventuellen Gegenverkehr. Nicht der richtige Zeitpunkt für einen neuen Geschwindigkeitsrekord.
Als er nur noch hundert Yards hinter den Radlern war und mit kaum 40 Meilen durch die leichte Kurve rollte, sah er mit einem Mal den schwarzen Lieferwagen, der ihm in Richtung Bovington entgegenkam. Er beglückwünschte sich zu seinem siebten Sinn, der ihn wieder einmal vor einem Unfall bewahrt hatte. Die beiden Radfahrer hatten den Lieferwagen ebenfalls gesehen, fuhren näher an den Straßenrand und reihten sich hintereinander ein.
Shaw beschloss, den entgegenkommenden Lieferwagen abzuwarten und dann erst auf der schmalen Straße die beiden Radfahrer zu überholen. Die Fahrerkabine war auf seiner Höhe, als Shaw einen fürchterlichen Schlag gegen seinen Kopf spürte, so, als hätte jemand mit einer Eisenstange auf seine rechte Schläfe eingedroschen. In einem letzten verzweifelten Versuch verriss er die Brough zur Straßenmitte hin, um nicht die beiden Jungen auf ihren Fahrrädern niederzumähen.
Dann wurde es schwarz um ihn. Der Aufprall auf die Fahrbahn war das Letzte, was er spürte.
Corporal Ernest Catchpole vom Royal Army Ordnance Corps, stationiert in Bovington, führte gerade seinen Hund die Straße entlang spazieren, als er den Auspuff der Brough hörte. Er dreht sich um und sah noch, wie die schwere Maschine über die Fahrbahn schlitterte, wie der schwarze Lieferwagen beschleunigte und die beiden Jungen auf ihren Fahrrädern vor Entsetzen aufschrien. Dann stürmte Catchpole auch schon los.
Der Fahrer lag regungslos halb im Straßengraben und halb auf der Fahrbahn, sein Kopf war blutüberströmt. Es roch nach Benzin, und der Motor der auf der Seite liegenden Brough tuckerte immer noch vor sich hin.
Die beiden Jungen standen völlig erstarrt mit offenem Mund neben dem Verletzten, geschockt und wie gelähmt.
»Los!«, schrie sie Catchpole an, der neben Shaw in die Knie gegangen war. »Radelt los und holt Hilfe! Jetzt macht schon!«
Doch genau in diesem Moment tauchte aus einem Feldweg ein Heeres-Lkw auf, und der Corporal überlegte nicht lange, sprang auf, stellte sich breitbeinig in die Mitte der Fahrbahn und zwang den Fahrer zum Anhalten. Gemeinsam hoben sie den Bewusstlosen rasch auf die Ladefläche und brachten ihn in das nur einen Steinwurf entfernte Militärhospital der Bovington Kaserne.
Dann überstürzten sich die Ereignisse.
Wie aus dem Nichts standen plötzlich Beamte der Special Branch, der militärischen Abwehr, vor dem Einzelzimmer, das man Shaw zugewiesen hatte. Catchpole und jeder andere Soldat der Kaserne mussten zum Appell antreten und erhielten den Befehl, nicht über den Unfall zu sprechen. Zu niemandem – unter Androhung langjähriger Gefängnisstrafen, basierend auf der höchsten Geheimhaltungsstufe, die das britische Militär verhängen konnte.
Code D.
Obwohl Shaw drei Monate zuvor aus der Air Force ausgeschieden war, gab das Luftfahrtministerium sofort eine Presseerklärung heraus, in der es hieß, dass es »keine Zeugen des Unfalls gegeben hätte.«
Der Chefarzt des Krankenhauses wurde in einem Gespräch unter vier Augen instruiert. Als Befehlsempfänger, der seit Jahrzehnten in der Armee war, konnte ihn nicht mehr viel überraschen. Aber als Mensch und Mediziner war er geschockt, als er an das Bett des Bewusstlosen trat und auf die schmale, fragil wirkende Figur hinunterschaute, die in den Decken und Kissen fast verschwand. Der Kopf war dick bandagiert, das Gesicht blass und eingefallen. Es würde keine weiteren Untersuchungen geben, hatte der britische Geheimdienst kategorisch festgestellt und die Ankunft eines eigenen Gehirnspezialisten angekündigt, der aus London angefordert worden war. Alles Weitere würde man sehen.
Der Mediziner ging tief in Gedanken versunken zum Fußende des Bettes, nahm das dünne Holzbrett mit dem Krankenblatt zur Hand und warf einen Blick drauf. Dann zog er einen Bleistift aus der Brusttasche und schrieb »T.E. Shaw« auf das weiße Papier. Er zögerte einen Moment, überlegte, und fügte schließlich darunter hinzu:
»Lawrence of Arabia«.
Hochtal Rumbur, nahe Chitral, nordwestliche Grenzprovinz/Pakistan
Der Mann mit der Kalaschnikow rüttelte Salam an der Schulter und holte ihn aus einem
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