Heiß
über den Zaun glotzte und an einer übel riechenden Wurzel kaute, wurde ihm klar, dass es mit Heimlichkeit und Privatsphäre in einer Kleingartenanlage nicht weit her war.
Wenn hier einer furzte, dann litten drei andere.
Nach fast einer Stunde aufreibender und fast wortloser Kontrollarbeit war das Gremium wieder abgezogen, und Calis hätte wetten können, dass ein kollektives Aufatmen durch die Nachbarschaft ging. Es war bereits dunkel geworden, und aus einem der Gärten zog der Duft von Grillwurst und Rippchen durch die Abendluft.
Alice hatte sich das ganze Wochenende lang nicht gemeldet. Wahrscheinlich, nein, ganz sicher sogar war sie bereits mit einem ihrer Sylter Verehrer in medias res gegangen, wie sie es nannte.
Juristen unter sich … oder unter einander …
Mit einem allerletzten Fluch an die Adresse von Tante Louise zog er eine kalte Flasche Bier aus der Kühltasche und ließ sich seufzend ins Gras sinken. Seine Hände waren voller Blasen, zerkratzt und wund, seine Schultern und sein Rücken schmerzten. Die kurz geschnittenen, strohblonden Haare standen nach allen Seiten ab, der Staub brannte in seinen Augen und die schmutzige Brille war zu einem Weichzeichner geworden, der die Welt gnädig ein wenig erträglicher erscheinen ließ. Thomas Calis war weichgeklopft, aber siegreich aus dem Kampf mit der Natur hervorgegangen.
Er war ein wenig stolz auf sich und genoss den Augenblick des Triumphs.
Das Pils zischte und verdampfte auf dem Weg in den Magen. Er atmete genüsslich auf und setzte die Flasche erneut an. Während er noch überlegte, danach sofort eine weitere Buddel zu köpfen, hörte er irgendwo drinnen im Gartenhaus sein Handy klingeln.
»Vergiss es«, murmelte er kopfschüttelnd, aber dann dachte er an Alice und rappelte sich ächzend hoch. Durch seine verschmierten Brillengläser sah er das Display nur verschwommen leuchten, und so meldete er sich unverbindlich mit einem hoffnungsvollen »Ja?«
»Kommissar Calis? Wir haben einen Toten in der Berlichingenstraße in Moabit, ganz in Ihrer Nähe. Der Chef möchte, dass Sie sich die Sache ansehen. Natürlich nur, wenn Sie sich von Ihrer neuen Gartenleidenschaft losreißen können, wie er so richtig meinte …«
Hochtal Rumbur, nahe Chitral, nordwestliche Grenzprovinz/Pakistan
Shabbir Salam sah sich aufmerksam um. Irgendetwas war seltsam hier.
Während seine drei Untergebenen von der Border Police, die an der Grenze zu Afghanistan eingesetzt und in der kleinen Provinzhauptstadt Chitral stationiert waren, den umliegenden Wald durchsuchten, war Chief Inspector Salam zurückgeblieben, am Platz vor der Hütte, wo es nach Asche und verbranntem Fleisch stank. Er würgte. Sie waren zufällig auf Patrouille durch das Hochtal gewesen, als eine Rauchsäule am Berghang ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Zuerst hatten sie gedacht, jemand würde altes Holz verbrennen, aber als sie einer Gruppe von Frauen der Kalash begegnet waren, die ängstlich in Richtung des Feuers deuteten und sie drängten anzuhalten, änderten sie ihre Meinung rasch.
»Da oben liegt die Hütte von Shah Juan von Rumbur«, hatte eine der jungen Frauen erregt ausgerufen. »Irgendetwas muss passiert sein. Wir haben schon überlegt, hinaufzusteigen und selbst nachzuschauen, aber …« Sie war verstummt.
»Gibt es einen befahrbaren Pfad?«, hatte sich Salam erkundigt, und die Frau hatte eifrig genickt und sofort angeboten, der Grenzpolizei den Weg zu zeigen.
Nun stand der Chief Inspector vor den Resten der Hütte, die fast zur Hälfte verbrannt war und versuchte, sich ein Bild zu machen. Salam, einstiger Elitesoldat der Pakistanischen Armee, war bereits vor Jahren auf eigenen Wunsch von den Polizeikräften rekrutiert und in den Hindukusch abkommandiert worden. Das sensible Gebiet im Nordwesten Pakistans verlangte bedächtiges Handeln, gute Kontakte mit der Bevölkerung und ein gesundes Misstrauen gegenüber allen extremistischen Bewegungen. Es war Salams Verdienst, dass die Krisenregion halbwegs stabil war und das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizeikräfte ständig wuchs. Salam und Shah Juan waren befreundet gewesen, hatten sich vertraut und geschätzt. Beide hatten sie versucht, Toleranz und Mäßigung dem ständig wachsenden Druck der Extremisten und Taliban entgegenzusetzen. Es sah so aus, als hätten sie damit Erfolg.
Aber nun?
Salam, ein untersetzter grauhaariger Mann in einer untadeligen Uniform, ging tief in Gedanken versunken zu einem Holzblock unter einem kleinen
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