Heiß
Männer herumfahren.
»Was zum …«, stieß der Agent in Zivil halblaut hervor und nahm die Sonnenbrille ab.
Die Alte kam immer näher.
»Doch im Frühjahr, zur Zeit der Schneeschmelze, da kommen sie ins Tal und helfen uns gegen das Böse …«, sang sie und schien die Männer mit den automatischen Waffen nicht zu sehen. Sie ging an ihnen vorbei, als wären sie nicht da. Dafür fixierte sie den Mann am Geländewagen und blieb schließlich auf Armeslänge vor ihm stehen.
Ihr Gesang erstarb.
Es war totenstill.
Nur die Eule schrie noch immer.
»Du wirst sterben«, murmelte sie und blickte dem Agenten unverwandt in die Augen. »Bereite dich vor. Die Feen sind gekommen, um dich zu holen, als Rache für Shah Juan.«
»Und du hast den Verstand verloren, alte Frau«, erwiderte der Mann und verzog angewidert das Gesicht. »Die Kalash hätten bereits vor langer Zeit verschwinden sollen. Ihr seid ein Relikt aus längst vergangenen Tagen.«
»Denke an deine Seele und nicht an unser Volk«, gab die Alte ungerührt zurück. »Die Kalash wird es geben, solange die Sonne scheint, die die Kälte des Winters jedes Frühjahr aufs Neue besiegt und sie in die Berge verdrängt. Du jedoch hast nur noch einen Augenblick und nicht mehr. Bereite dich vor!«
Der Mann sah sie mit schief gelegtem Kopf an, seine Augen blickten ratlos. Mit einem Mal griff er wortlos in seine Hosentasche, zog ein Springmesser und ließ die Klinge hervorschnellen. Bevor Salam reagieren konnte, rammte der Mann es der alten Frau bis zum Heft in die Brust.
Sie wankte, aber sie fiel nicht. Es war, als seien ihre Züge aus Stein gemeißelt. Kein Schmerz, keine Überraschung zeichnete sich in ihnen. Ihre Stimme jedoch klang fester denn je, als sie dastand, das Messer in der Brust, und sagte: »Die Feen sind die Kriegerinnen der Götter. Und ihre Rache ist furchtbar.«
Dann, mit einem letzten Blick auf Salam, stürzte sie zu Boden.
Und die Hölle brach los.
Salven donnerten über die Straße, mähten die Bewaffneten um, rissen den Agenten von den Füssen und schleuderten ihn gegen den BMW wie eine Marionette. Er zuckte, und sein Körper bäumte sich unter zahlreichen Treffern auf. Ungläubig starrte er auf Salam, während er, das Hemd zerfetzt und rot gefärbt, an der Karosserie herunterrutschte und eine Blutspur hinterließ.
Mit lautem Knall zersprangen alle Scheiben des Geländewagens, zischend entwich die Luft aus den Reifen, dann wurde es gespenstisch still. Auf der Straße lagen die Soldaten regungslos in ihrem Blut. Von den Hängen der Berge wurde das Echo der Schüsse zurückgeworfen, wie eine Wiederholung des Grauens. Dann tauchten hinter den Felsen schwer bewaffnete Kalash auf, Handgranaten am Gürtel und die Gewehre im Anschlag.
Der Einzige, der inmitten des Chaos noch stand, war Shabbir Salam. Er zitterte am ganzen Körper, sah auf die sterbende alte Frau hinunter, ging in die Knie und nahm ihren Kopf in seine Hände. Er schien federleicht zu sein. Die traditionelle Kappe war ihr vom schlohweißen Haar gerutscht, das wie weicher Flaum aussah und im letzten Sonnenlicht leuchtete.
In seiner Verzweiflung fing Salam an zu weinen. Wohin er auch kam, überall warteten nur Tod und Verderben.
Die alte Kalash schlug die Augen auf, spürte die Tränen und lächelte.
»Weine nicht, Shabbir Salam, ich habe dir gesagt, ich werde Juan bald folgen. Nun ist es so weit. Geh du deinen Weg bis zum Ende und vergiss mich nicht. Ich bete zu den Feen, dir stets zu helfen.« Damit schloss sie die Augen, und der Chief Inspector spürte, wie ihr Körper erschlaffte.
Er bettete in einer letzten Geste des Respekts ihren Kopf auf seine Knie und begann zu beten. »Großer Gott, der du die Welt und mein Schicksal in deinen Händen hältst, verzeihe dieser Toten und mir.«
Plötzlich fühlte er eine Hand auf seiner Schulter und blickte auf. Neben ihm stand eine der Wachen und sah ernst auf ihn hinab.
»Sie müssen weiter, Chief, es sind nur mehr zwei Minuten bis zum Treffen am Fluss.«
Salam nickte, legte den Kopf der alten Frau behutsam in den Staub der Straße und erhob sich. Seine Knie zitterten noch immer. Noch nie war er mutloser gewesen als in diesem Moment.
Einer der schwer verletzten bewaffneten Soldaten am Boden stöhnte. Mit einem einzigen großen Schritt trat einer der Kalash neben ihn, legte die Kalaschnikow an und schoss ihm in den Kopf.
Der Chief wandte sich ab und machte sich auf den Weg, während die Tränen über seine Wangen liefen und er stumm zu
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