Heiß
Seitenfenster dem Toten genau ins Gesicht schaute. Der Täter hatte zwar eine Decke über die Leiche geworfen, aber die war vom Kopf gerutscht. Muss ein echter Schock gewesen sein. Kein schöner Anblick, so eine durchgeschnittene Kehle.« Bergner zündete sich eine Zigarette an und inhalierte genüsslich. Dann griff er in die Tasche und hielt Calis einen Zettel hin. »Ihr Name und die Telefonnummer. Aber viel mehr wird sie dir nicht erzählen können.«
»Rauchen schadet der Umwelt und insbesondere mir«, schnüffelte der Mediziner vorwurfsvoll und richtete sich dann auf. »Todesursache ist klar, vorher bei dem Unfall hat er sich das Bein gebrochen. Daher nehme ich an, das Auto hat ihn erwischt und nicht umgekehrt.«
»Und der oder die Mörder haben dann auch gleich das Rad entsorgt?«, wunderte sich Calis. »Wem gehört eigentlich der Golf?«
»Wer ist hier eigentlich der junge, aufstrebende Kriminalist?«, erwiderte der Leiter der Spurensicherung. »Ein bisschen Arbeit muss ja auch noch für dich übrig bleiben.«
»Genau! Für uns alte Herren in der Vorruhestandsstarre war’s das«, ergänzte Doktor Sternberg und schlug Bergner auf die Schulter. »Komm, wir rücken ein. Den verbleibenden Anwesenden weiterhin fröhliches Schaffen!«
»Ihr beide seid heute wirklich die reinste Inspirationsquelle«, murrte Calis und gab den bereits wartenden Männern der Ambulanz ein Zeichen, die Leiche abzutransportieren. »Wann hast du das Obduktionsergebnis?«, rief er Sternberg nach.
»Irgendwann nächstes Jahr«, rief der Arzt über die Schulter zurück. »Du bist der Erste, der es erfährt. Versprochen!«
Genau in dem Moment tauchte das Fernsehteam des rbb an der Polizeiabsperrung auf. Als der Kameramann den patschnassen Kommissar Thomas Calis mit dem rosa Condomi-Schirm im Scheinwerferlicht stehen sah, wartete er nicht auf einen Wink seiner Redakteurin.
Er riss die Kamera hoch, drückte auf den Aufnahmeknopf und hielt einfach drauf.
São Gabriel da Cachoeira, Rio Negro/Brasilien
John Finch genoss noch ein letztes Mal den Blick von seiner Terrasse auf den Rio Negro. Die Sonne war aufgegangen, und der Pilot stand mit einem Becher heißen Kaffees, den er sich von der nahe gelegenen Bäckerei geholt hatte, am Geländer und blickte über die Dächer der kleinen Stadt hinunter zum Fluss, der zu jeder Tageszeit anders aussah. Der Rio Negro verwandelte sich wie ein träges Chamäleon.
Nachdenklich horchte Finch in sich hinein. Nein, er verspürte kein Bedauern. Alles hatte seine Zeit, seinen Platz und sein Ende. Hinter ihm lagen eine leere Wohnung, ein paar Erinnerungen und viele Erfahrungen. Vor ihm die Heimkehr auf einen Kontinent, der ihn seit seiner Jugend fasziniert und gefesselt hatte. Afrika zwischen Kairo und Dakar, Tripolis und Kapstadt, das war für fast vierzig Jahre seine Bühne gewesen, sein Abenteuerspielplatz, seine Heimat. Bis zu jenem Tag vor fünf Jahren. Finch spürte einen bitteren Geschmack in seinem Mund und wischte den Gedanken rasch beiseite.
Was hätte sein Vater zu seiner Entscheidung gesagt?
Als Finch 1962 nach Kairo gekommen war, gerade einmal achtzehn Jahre alt, hatte er dank seines Vaters bereits zehn Jahre lang in Cockpits gesessen. Erst auf dem Schoß des berühmten Jagdfliegers der Royal Air Force, dann daneben. Der alte Peter Finch hatte nie viel von Vorschriften gehalten. »Die Freiheit hier oben gehört dir«, hatte er immer zu seinem Sohn gesagt. »Lass sie dir nicht von Kleingeistern vermiesen.« Dann hatte er ihm den Steuerknüppel in die Hand gedrückt und demonstrativ die Augen geschlossen. Und so hatte John Finch seinen Vater geflogen, durch Gewitterfronten und Regenschauer, Luftlöcher und Sturmböen. Hatte neben dem schweigsamen Fliegerass gesessen und sich gefragt, ob sein Vater hin und wieder blinzelte.
Nur das eine Mal war er nicht dabei gewesen. Jenes eine Mal, das sein ganzes Leben verändert hatte.
Als Finch an dem Wrack angekommen war, während die Rettungsmannschaften noch verbissen arbeiteten und seinem Vater doch nicht mehr helfen konnten, da war ihm klar geworden, dass er von nun an alleine würde fliegen müssen.
So hatte er lange dagestanden, an der Absturzstelle. Stundenlang, die Hände tief in den Taschen vergraben. Erst waren die Rettungsmannschaften abgezogen und hatten die Leiche mitgenommen, dann die Beamten der Untersuchungsbehörde. Zuletzt hatten sie die Reste des Flugzeugs abtransportiert und mit ihnen John Finchs heile Welt und alles, woran er
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