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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor. Sie legte es auf die Bettdecke und faltete ihre Hände darüber.
    »Chinguetti wurde im zwölften Jahrhundert gegründet und wuchs rasch. Seine Bedeutung als Oase in einer unwirtlichen Gegend stieg mit der Anzahl der Pilger nach Mekka. Rasch wurde der kleine Handelsposten zu einer Stadt mit Moscheen und Minaretten, mit Unterkünften für die Reisenden. Die heutige Ansiedlung ist nur ein Schatten der florierenden Metropolis, die Chinguetti einmal war. Karawanen mit mehreren Tausend Tieren machten hier halt, sie transportierten Wolle, Datteln und Weihrauch in den Süden und kamen mit Elfenbein, Straußenfedern, Gold und Sklaven beladen wieder zurück. Mehr als zwanzigtausend Menschen lebten und arbeiteten in Chinguetti, viele islamische Gelehrte und Schriftsteller ließen sich hier nieder, in der Stadt der siebzehn Bibliotheken – mehr als irgendwo sonst in Afrika.«
    Amina Mokhtar entfaltete das einzelne Blatt und strich es auf der Bettdecke glatt. »So kam Anfang des vierzehnten Jahrhunderts eines Abends auch ein Assassine in die Stadt. Wir kennen seinen Namen nicht, er erachtete ihn nicht für so wichtig. Er brachte ein Dokument mit, von weit, weit her, aus Frankreich, um es in einer der Bibliotheken zu deponieren. Woher wir das wissen? Nun, es steht auf diesem Blatt Papier, das in einem alten arabischen Dialekt verfasst wurde. Es gelangte aus reinem Zufall auf meinen Tisch. Es lag in einem Buch, das dem Handschriften-Museum gespendet worden war, und fiel mir im wahrsten Sinne des Wortes in den Schoß. Das ist der Grund, warum man versucht hat, mich umzubringen, der Grund, warum ich Sie bereits vor Tagen sehen wollte und eine Nachricht ins Cecil schickte.«
    Sie machte eine Pause. »Der Grund, warum der Täter heute sein Werk vollenden wollte. Als Arzt verkleidet und mit gefärbten Haaren, glatt rasiert und mit Brille. Ich habe ihn nicht erkannt, bis …« Sie brach ab und rang um Fassung.
    Finch schwirrten hundert Fragen durch den Kopf, doch er wartete. Die beruhigend gleichmäßigen Atemzüge Sabina Mokhtars verrieten, dass die junge Frau tief schlief.
    »Der Assassine kam im Auftrag des Templerordens in die Wüste. Angesichts der drohenden Auslöschung des Ordens hatten sich wohl einige der Oberen an ihre ehemaligen Feinde gewandt, die sie stets respektiert hatten. Der Araber brachte ein Dokument mit in die Wüste, das zu den großen Geheimnissen des Ordens gehörte, jenem Ritterorden, der vom französischen König Philipp dem Schönen verfolgt, vernichtet und enteignet wurde. Nachdem die letzten Großmeister verbrannt worden waren, erfüllte sich der Fluch, mit dem die Templer den König und den Papst belegt hatten: Beide starben innerhalb eines Jahres nach der Zerschlagung des Ordens. Das Archiv der Templer jedoch blieb bis heute verschwunden.«
    Dr. Mokhtar lächelte, als sie Finchs fragenden Blick sah.
    »Nein, das Archiv liegt nicht in Chinguetti, natürlich nicht. Aber ein einzelnes Dokument gelangte in eine der Bibliotheken der Oase. Sicher aufgehoben inmitten der Wüste, weit weg von Europa: das Wissen um den exakten Platz der Grabstätte Alexanders des Großen, des begehrtesten archäologischen Fundes der Neuzeit. Der Assassine scheute keine Mühen und Strapazen, bis er mit dem Dokument sicher in Chinguetti angekommen war. Ob er es selbst in eines der Regale einreihte oder es dem damaligen Bibliothekar anvertraute, wissen wir nicht. Fest steht, dass er jede Spur konsequent verwischt hat. Er tötete den Bibliothekar zwischen den staubigen Regalen und verließ noch in der Nacht die Stadt. Man fand am nächsten Tag seine Fußspuren, die geradewegs in die Wüste führten, aber niemand wollte ihnen folgen.«
    »Und wer hat das aufgeschrieben?«, fragte Finch und deutete auf das Blatt Papier in Amina Mokhtars Händen.
    »Der Sohn des Bibliothekars, der ein kleiner Junge war, als ein fremder Mann seinen Vater ermordete. Er stand hinter einem Vorhang, beobachtete alles und blieb ganz still, aus Angst, der Assassine würde auch ihn töten. Später übernahm er traditionsgemäß die Leitung der Bibliothek und schrieb seine Erinnerung auf.«
    »Alexander der Große – also doch …«, murmelte Finch, dachte an die Kalash und den Mord an Shah Juan, den Krieg der Geheimdienste und an Chief Inspector Salam.
    »Ein Sarkophag aus Glas oder Kristall, bis zum Rand gefüllt mit Honig, in dem der einbalsamierte Leichnam des Kriegerkönigs schwimmt«, zitierte

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