Heiß
Calis und ließ sich in einen bequemen Besucherstuhl vor Waltkes Schreibtisch fallen. Zwischen zahlreichen Papierstapeln, Büchern und einem aufgeklappten Laptop lächelten eine Frau und drei heranwachsende Jungs aus zwei Bilderrahmen. »Lebte Tronheim allein?«
»So viel ich in Erfahrung bringen konnte, ja. Er war seit mehr als zehn Jahren geschieden, danach kehrte seine Frau mit der gemeinsamen Tochter in ihre Heimat zurück. Sie ist Bosnierin, glaube ich.«
Waltke blätterte in einer dünnen Mappe, auf der in großen roten Lettern »Tronheim« prangte.
»Jedenfalls blieb Tronheim alleine in Berlin zurück. Bevor er bei uns begann, arbeitete er fast acht Jahre lang für eine Geldtransportfirma. Nach einem spektakulären Überfall in Süddeutschland, der damals durch alle Zeitungen ging, hatte er sich wohl überlegt, eine etwas ruhigere Kugel zu schieben, kündigte und bewarb sich für den Job eines Nachtportiers in unserem Sicherheitsteam.«
»Dunkle Vergangenheit?« Der Kommissar schaute sich im Büro um. Die Wand gegenüber den Fenstern war mit Urkunden, Zertifikaten und Patentschriften zugepflastert.
»Weiße Weste«, antwortete Waltke mit Nachdruck und schlug die Mappe zu. »Unauffällig, pünktlich und zuverlässig. Von uns aus hätte Tronheim bei Siemens in Pension gehen können.«
»Hatte er sonst noch Familie?«, fragte Calis nach. »Eltern, Geschwister, Onkel?«
Der Produktionsleiter schüttelte den Kopf. »Den Personalakten nach sind seine Eltern bereits lange tot, und von anderen Angehörigen habe ich keine Spur gefunden. Ob er natürlich eine Freundin hatte …« Waltke ließ den Satz in der Luft hängen.
»Seine Tasche liegt unten bei mir im Wagen, und ich würde sie gerne einem Kollegen zeigen«, meinte der Kommissar. »Vielleicht fehlt etwas. Wir tappen noch im Dunkeln, warum Tronheim ermordet wurde. Sein Fahrrad kann es ja kaum gewesen sein.«
»Wenn ich mich recht erinnere, dann fuhr er einen ganz normalen Drahtesel, den Sie ohne großen Aufwand in Berlin an jeder Straßenecke stehlen können«, erinnerte sich Waltke. »Aber machen Sie einfach eine Runde durch das ganze Haus, sprechen Sie mit allen und stellen Sie Ihre Fragen. Ich gebe Ihnen einen unserer Sicherheitsleute mit, der sich in seiner Freizeit mit der Geschichte von AEG und Siemens beschäftigt. Ein wandelndes Lexikon, der gute Wilhelm, gehört sozusagen schon zum Inventar.« Der Produktionsleiter griff zum Telefon. »Und er hat einen Schlüssel für alle Räume.«
Wilhelm Pannek, genannt »die Rakete«, obwohl er eher die Form eines Kegels hatte, war ein Berliner Urgestein, das auch in seiner dunkelblauen Uniform des Sicherheitsdienstes aussah, als hätte ihn Heinrich Zille gezeichnet und dann wieder in den Alltag an der Spree entlassen. Doch seine gutmütige und joviale Art durfte niemanden darüber hinwegtäuschen, dass Pannek seine Autorität zwar in einer lässigen, aber bei Bedarf genauso stahlharten Weise durchsetzte. Er kannte alles und jeden in dem riesigen Komplex, steckte voller Geschichten über das Unternehmen und die alte Fertigungshalle, wusste um die Schleichwege in den Kellern und die Schwachstellen der Sicherheit.
»Det mit Kurt hat uns allen janz schön zujesetzt«, sagte er, nachdem er den Kommissar begrüßt hatte und die beiden Männer die Treppe zur Portierloge hinunterstiegen. »Er war beliebt hier, hat öfter mal Dienste übernommen, wenn ’n andrer Probleme mit Frau und Kindern hatte. Deshalb war er auch Ostern hier.«
»Sie meinen, er war ursprünglich gar nicht eingeteilt?«, fragte der Kommissar erstaunt.
Pannek schüttelte den Kopf. »Kurt ist für ’nen Kollegen einjesprungen. Aber det war schon lange abjesprochen. Det machte ihm nüscht aus, er hatte ja keene Familie.«
Nachdem Calis Tronheims Tasche aus seinem Wagen geholt hatte, führte ihn Pannek zur Pförtnerloge, schloss auf und begrüßte den diensthabenden Kollegen mit einem Handschlag.
»Hallo Martin, det is Kommissar Calis, er untersucht den Mord an Kurt«, begann er und nickte in Richtung des Kriminalbeamten, der die Sporttasche vorsichtig auf den Tisch unter den Monitoren stellte. »Ick hab Anweisung von oben, ihn nach allen Kräften zu unterstützen und glaub mir, det werd ick ooch.«
»Das Schwein würde ich gerne in die Finger bekommen, das Kurt auf dem Gewissen hat«, murmelte der Pförtner grimmig und schüttelte dem Kommissar die Hand. »Sagen Sie mir, wie ich helfen kann.«
Thomas Calis sah sich in dem kleinen Raum
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