Heisse Liebe in eisiger Nacht
doch nicht. Erleichterung durchflutete sie, als sie die kräftige, langbeinige Gestalt auf dem Bett entdeckte. Ihre Knie waren ganz weich, und sie hatte Mühe, ihre Fassung wiederzugewinnen. Als sie bemerkte, dass er regungslos dalag, wich ihre Angst der Sorge um sein Wohlbefinden.
Um sich zu vergewissern, dass er auch noch atmete, ging sie so dicht an das Bett heran, wie sie es wagen konnte. Zu ihrem Glück konnte sie auch von weitem sehen, dass seine Brust in dem grauen Flanellhemd sich bei jedem Atemzug hob und senkte.
Ein Glück! dachte Genevieve und seufzte unwillkürlich. Sie wollte sich abwenden, um ihn schlafen zu lassen und sich ein wenig zu sammeln.
In diesem Moment öffnete er die Augen – seine Wimpern waren lang und schwarz wie die Nacht draußen und wohl das Einzige an seinem kantigen Gesicht, das weich wirkte –, und dann hielt der Blick aus seinen hellgrünen Augen sie in seinem Bann.
„Hi.“ Trotz der Intensität in seinem Blick war seine Stimme rau und sehr müde. „Sie sind wieder da.“
„Ja.“
Er sah an ihr vorbei zu den dunklen Fenstern und runzelte die Stirn. „Wie spät ist es?“
„Kurz nach sieben.“
„Ah.“ Er hob die freie Hand, und Genevieve wich hastig zurück, aber er rieb sich nur das Gesicht. „Fühlt sichviel später an.“
„Es war ein langer Tag.“
„Ja. Das habe ich gemerkt.“ Er ließ die Hand wieder sinken und sah sie mit einem seltsamen Ausdruck an. „Ich habe mir Sorgen gemacht.“
Sie fragte sich, was er von ihr hören wollte. Tut mir leid? Darauf konnte er lange warten. Gut, geschieht Ihnen recht? Das kam der Wahrheit zwar nahe, aber Schadenfreude passte nicht zu ihr. Selbst wenn er es wirklich verdiente. Sie wies auf den Rucksack, den sie neben der Tür fallen gelassen hatte. „Ich habe Ihre Sachen mitgebracht.“
Er sah kurz hin, runzelte nachdenklich die Stirn, sagte aber nichts.
Genevieve räusperte sich. „Wie fühlen Sie sich?“
„Wollen Sie das wirklich wissen?“
„Sonst hätte ich nicht gefragt.“
Er setzte sich auf und zuckte mit den Schultern. „Abgesehen davon, dass ich verschwommen sehe, mein Magen grummelt und mein Kopf sich anfühlt, als hätte ihn eine Baseballmannschaft als Ball benutzt, geht es mir großartig.“
Na, großartig, dachte sie bedrückt. Er hatte gerade alle Symptome beschrieben, die in ihrem Erste-Hilfe-Buch für eine Gehirnerschütterung aufgelistet wurden. Der verdorbene Magen zumindest könnte auch das Resultat der übergroßen Dosis Schmerztabletten sein, die er vorhin geschluckt hatte …
„Und wie fühlen Sie sich?“
Sie sah ihn erstaunt an. „Wieso wollen Sie das wissen?“
„Geht es Ihnen gut? Keine Schmerzen oder blaue Flecken oder so?“
„Ich bin okay.“
„Schön. Ich wollte nur …“ Er wandte den Blick ab undzuckte wieder mit den Schultern. „Jemand, den ich kannte, sagte genau dasselbe nach einem Autounfall. Und dann stellte sich später heraus, dass sie innere Verletzungen hatte.“
Er klang so ruhig und unbeteiligt, als würde er über das Wetter sprechen. Warum war sie dann plötzlich so sicher, dass die Folgen für jene Sie, die er erwähnte, sehr schlimm gewesen waren? Und dass er trotz seiner harten, gleichgültigen Fassade immer noch von der Erinnerung daran gequält wurde?
Weil du eine hoffnungslos romantische Natur mit lebhafter Vorstellungskraft bist, Genevieve. Ein Idiot, der auf jeden hereinfällt, der auch nur einen Kratzer hat, für den du ihn bemitleiden kannst.
Ach was, sie war einfach nur ein Dummkopf. Weil es sehr wahrscheinlich war, dass er sich die ganze Geschichte einfach ausgedacht hatte, um sie zu verunsichern. So wie er auch vorgab, sich Sorgen um ihre Gesundheit zu machen, in der Hoffnung, sie könnte einen Fehler begehen, den er dann zu seinem Vorteil nutzen konnte.
Aber wenn nun nicht?
Das kann mir egal sein, sagte sie sich. Selbst wenn er die Wahrheit sagte, würde er ihr Mitgefühl sicher nicht begrüßen, und Genevieve wollte seins auch nicht.
„Ich bin okay“, wiederholte sie also, drehte ihm den Rücken zu und entfernte sich vom Bett. Sie zog ihre Handschuhe aus, hängte den Parka an den Haken, setzte sich auf den Hocker neben dem Sofa und zog ihre Stiefel aus. „Hören Sie, ich kann mir vorstellen, dass Ihnen nicht danach ist …“, auf Strümpfen ging sie in die Küche, „… aber wollen Sie nicht wenigstens versuchen, etwas zu essen? Ich meine, ich kann verstehen, wenn Sie lieber nichts möchten, aber es könnte helfen, Ihren
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