Heiße Nächte: Erotischer Roman (German Edition)
stimmt’s?« Ich verstehe, dass D. sich nach etwas anderem sehnt. Dass er sich dieses Mal nicht mit einem einfachen Bericht zufriedengibt. Weil auch ich mir eine Fortsetzung wünsche, gebe ich nach. Angespornt durch sein eifriges Interesse fallen mir viele Worte ein. Doch es ist, als würde jemand anderes an meiner Stelle sprechen.
Ich finde das nicht brutal. Ich erfülle einen unausgesprochenen Wunsch. Die Gewalt, die du meinst, bezeichnet man anders. Ich weiß nicht, wie, doch ich habe sie schon einmal auf Bildern gesehen. Ich weiß nicht, wieso mir diese Bilder in den Sinn kommen. Eine vollkommen nackte Frau liegt träge auf einem Sessel. Ein Knie ist angewinkelt, das andere Bein entspannt. Sie schläft tief und fest. Diesen freizügigen Körper hat der Maler vor dem einzigen Fenster im Raum platziert. Vermutlich waren die Vorhänge zugezogen. Vor diesem Augenblick herrschte vollkommene Entspannung in dem dämmerigen Zimmer. Dann betritt eine seltsame, sehr kleine Person den Raum. Ihre Augen sind eingefallen, die Stirn von einem strengen Pony bedeckt. Allein der Rock und die Ballerinas deuten auf ein weibliches Wesen hin. Es ist eine etwas zwitterhafte Erscheinung, weder Frau noch Kind. Als dieses Wesen bewusst rücksichtslos den Vorhang zur Seite reißt, fällt gleißend das Licht herein. Nach diesem Augenblick beherrscht Gewalt die Atmosphäre. Durch den starken Lichteinfall wird die Liegende gnadenlos aus dem Schlaf gerissen. Der Titel des Bildes lautet: Das Zimmer 1 .
Der Exkurs hat mich erschöpft. Ich hätte etwas anderes erzählen können, doch ich hatte Angst, dass D. dies als Gereiztheit, vielleicht sogar als eine Art Vorwurf auffassen könnte. Ja, ich hätte mich einer gewissen Stimme erinnern können. Diese Stimme gehörte jemandem, der von Peter Pan erzählte und von seiner Angst erwachsen zu werden; jemandem, der die Geschichte einer bösen Stiefmutter erzählte, die in ihr Spiegelbild verliebt war. Oder von einer enttäuschten Grille, die es nicht verdient hatte, von der Ameise verachtet zu werden. Diese Stimme ist seit Langem verstummt. Ich habe jedoch eine Art synchronisierte Version von ihr im Ohr, die den Geschichten heitere und dramatische Akzente verleiht – »Sie sangen?« – sowie übertriebene Mimik und Gestik. Eine Adaption, schlimmer, ein Verrat. Ich habe ungeduldig darauf gewartet, die Bücher selbst zu lesen, und bin sogar noch weiter gegangen. Auf diese Weise habe ich die Stimme zum Schweigen gebracht. Habe ich erreicht, dass man mir keine Geschichten mehr erzählt. Die stummen Worte, die Tinte auf weißem Papier sind mir lieber. Ich will entscheiden, wann eine Geschichte beginnt und wann sie endet. Ich will zu ihr zurückkehren, wenn mir ihre Zeilen nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich verfolge sie sozusagen doppelt, auf dem Papier und in meinem Kopf. Ich möchte keine Bilder mehr sehen. Die Worte lassen Bilder in meinem Kopf entstehen. Meine Bilder, nicht die Bilder von anderen. Nicht dass meine Vorstellungskraft stärker oder mächtiger ist. Ich will nur, dass man mich in Ruhe lässt.
Wenn ich an D. schreibe, wünsche ich mir etwas Ähnliches. Er hatte versprochen, mich nicht zu zwingen. Doch als Erzählerin werde ich gezwungen. Gegen meinen Willen. Das ist nun einmal sein Wunsch.
1 Das Zimmer , Bild von Balthus
II
Die Abweichungen
Zimmer Nummer 428
Samstag, 27. Juni, 0 Uhr 07
Arthur kommt allein. Als Erstes verhängt er alle Spiegel mit Handtüchern. So ist er ganz für sich. Eines Tages nimmt er Ihre Dienste in Anspruch. Er bittet Sie, ihn zu einem Empfang des Verlegers Jean Stern zu begleiten. Sie sollen sich bei ihm einhaken und während des Abendessens seine Tischdame sein. Der Auftrag endet um ein Uhr morgens.
Sie fühlen sich wohl und unterhalten sich mit Ihren Tischnachbarn. Als Zeichen großer Vertrautheit berühren Sie hin und wieder beiläufig Arthurs Hand. Mit Ihrer Heiterkeit verzaubern Sie Stern und seine Gäste, die Ihnen das Paar nicht abnehmen. Im Laufe des Abends stecken Sie einer Frau diskret Ihre Telefonnummer zu.
Auf dem Heimweg erklärt Arthur, dass er sehr zufrieden sei. Er schlägt vor, dass Sie ihn bis zu seinem Zimmer begleiten. Es handelt sich bloß um einen einfachen Dienst, erklärt er. Als ob er Sie beruhigen müsste.
Vor der Tür fällt Ihnen die Nummer auf. 4 + 2 + 8 macht 14. 14 ist teilbar durch 7, Ihre Zahl. Ein gutes Zeichen, denken Sie. Sie können sich einfach nicht von diesen abergläubischen Gedanken befreien.
Er nimmt das
Weitere Kostenlose Bücher